Ein Dorf kämpft gegen das „Universelle Leben“

■ Millionenschwere religiöse Sekte will in der unterfränkischen Gemeinde Hettstadt ein „Neu-Jerusalem“ aufbauen / 70 eigene Betriebe und 100.000 Anhänger / Profitmaximierende Betriebsordnung / Gemeinde reagiert mit Baustopp

Aus Hettstadt Bernd Siegler

Unscheinbar liegt die Gemeinde Hettstadt auf einem Hügel, zehn Kilometer von Würzburg entfernt. Nur mehr sechs Vollerwerbslandwirte leben hier noch, der Rest sind Pendler, die in Würzburg arbeiten. Doch seit zwei Jahren ist die Ruhe in der 2.500 Einwohner zählenden Gemeinde vorbei. Das „Universelle Leben“ (UL), vormals „Heimholungswerk Jesu Christi“, hat die Gemeinde Hettstadt zu ihrem „Neu -Jerusalem“ auserwählt, um dort ihr „Urchristentum“ leben zu können. Ihre Anhänger haben 86 Grundstücke in Hettstadt aufgekauft, die ersten Rundbauten als Grundpfeiler des angestrebten „tausendjährigen Gottesreiches“ stehen schon. Bürgermeister Zorn hat „knallharten Widerstand“ angekündigt.

Der CSU-Mann sieht seine Gemeinde durch die geballte Ansiedlung von etwa 1.500 Anhängern des UL bedroht. „Die wollen doch einen eigenen Staat. Hier wird ein Experiment mit Menschen gemacht“, empört er sich. Zorn hält das Gedankengut des UL „theologisch für substanzlos, aber psychologisch äußerst geschickt aufgebaut“.

Seit Ende der 70er scharen sich um die „Prophetin“ Gabriele Wittek immer mehr Anhänger. Seit dem Tod ihrer Mutter hat die „Posaune Gottes“, wie sie von ihren Anhängern genannt wird, ständig Offenbarungen aus dem Jenseits. Aus dem „Heimholungswerk Jesu Christi“ wurde dann 1984 das „Universelle Leben“. Die Sekte, heute weltweit tätig, hat nach eigenen Angaben 80.000 bis 100.000 Anhänger. Allein 5.000 kamen Ostern nach Nürnberg, um in der Frankenhalle für 50 Mark pro Tag einem „kosmischen Ereignis“ beiwohnen zu dürfen. Noch immer ist die „Lehrprophetin Schwester Gabriele“ („Ich bin das absolute Gesetz“) das Aushängeschild der Sekte, doch im Hintergrund ziehen Wirtschaftswissenschaftler und Kaufleute die Fäden.

„Die Wittek ist doch nichts anderes als die Kühlerfigur der Karosse, die da auf uns zurollt“, bestätigt Hans-Walter Jungen, Vorsitzender der seit einem Jahr aktiven Bürgerinitiative gegen das UL. Die Sekte habe inzwischen ein „florierendes Wirtschaftsimperium aufgebaut“. In der Tat arbeiten derzeit etwa 70 Betriebe nach der „Betriebsordnung“ des UL. Diese Ordnung, ebenfalls eine „Offenbarung der Prophetin“, verheißt der Sekte maximalen Profit. Die Mitarbeiter müssen „das Wohl ihres Betriebes zu ihrem persönlichen Anliegen“ machen. Kurz: „Jedes Opfer auch am Arbeitsplatz bringt Freude, Zufriedenheit und Sinnerfüllung“. Die Palette der „Christusbetriebe“ reicht vom Handwerksbetrieb bis zum Vertrieb von Software für Ärzte, vom Krankenhaus bis hin zum Video-Aufnahmestudio. Bei all diesen „christlichen Geschäften“ kann eine weltliche Bank nur stören: Eine „Christliche Genossenschaftsbank e.G.“ ist im Aufbau.

Auch mit seiner Glaubenslehre verdient das UL nicht schlecht. Wer sich auf den „inneren Weg“ machen will, der belegt in sekteneigenen Häusern Seminare. Der „Weg zum kosmischen Bewußtsein“ führt über einen sechs- und neunmonatigen Meditationskurs. Dann folgt die „Intensivschulung in der Christlichen Mysterienschule“, danach die „unmittelbare, innere Führung über das erschlossene Bewußtsein“. Würzburger Psychologen werden immer häufiger mit den Folgen der Meditationspraxis des UL konfrontiert. Nach Ansicht des Sektenbeauftragten der evangelischen Kirche, Pfarrer Haack, herrscht in der Gruppe ein „immenser Druck“.

Dafür macht er die rigide Gemeindeordnung verantwortlich, die „Gabriele von Würzburg“ im November 1987 offenbarte. Auf 95 Seiten sind die Verhaltensregeln von der „Zeugung und Erziehung der Kinder“ bis zur „geistigen Taufe“ und der „Kleiderordnung“ aufgelistet. „Selbstlos Dienen“ lautet die Devise. Jede Wohngemeinschaft erhält zwei Ordner, auf einer Termintafel muß eingetragen werden, wer wann wohin und warum geht. „Wer in Gottes Gesetz lebt, kennt keine Geheimnisse.“ Glieder der Gemeinde sollen demnach ihr Vermögen zur Verfügung stellen. Einer der größten Sponsoren war Dr.Jens von Bandemer. Der Chef des Münchener Großunternehmens Knorr -Bremse KG trat 1985 überraschend zurück, verkaufte seine Firmenanteile und steckte Millionen in die Sekte. Anfang 1988 zog er sich jedoch zurück.

Nachdem Bandemers Siedlungspläne in Würzburg-Heuchelhof am Widerstand des Stadtrats gescheitert waren, verfiel die Sekte auf Hettstadt. Dort war schon Anfang der 80er Ackerland großzügig als Bauland ausgewiesen worden. Nachdem die Prophetin die Gemeinde als „Neu-Jerusalem“ auserkoren hatte, kauften, so Bürgermeister Zorn, „die Anhänger jeden Kartoffelacker zu jedem Preis“. Inzwischen stehen 13 Häuser

-ohne Ecken mit runden Fenstern und Dächern.

Mittlerweile hat Bürgermeister Zorn durch die Nichtvornahme der Erschließung faktisch einen Baustopp erwirkt. Dabei soll es auch bleiben. Gelassen sieht er einem vom UL vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angestrebten Normenkontrollverfahren entgegen. Etwa 50 Prozesse stehen der Gemeinde und Bürgern ins Haus.

Dem Bürgermeister wirft die Sekte eine systematische Rufmordkampagne vor und spricht dabei von einer „Pogromstimmung“ im Dorf. In einer Petition an den Bayerischen Landtag beschwert sich das UL über das „rechtswidrige Verhalten“ der Gemeinde. Matthias Holzbauer von der UL-Pressestelle zieht Vergleiche mit den Judenverfolgungen. „Wir wollen doch nur unseren Glauben leben“, betont er.

Nachdem durch den Baustopp in Hettstadt derzeit 7 Millionen Mark Sekten-Kapital brachliegen, wird behutsam der Rückzug eingeläutet. Im Vereinsorgan 'Der Christusstaat‘ verkündet das UL: „Wir folgen dem Rat des Nazareners und ziehen weiter.“ Karl-Heinz Schneider, Sprecher der Siedlergemeinschaft im UL, signalisierte dem Bürgermeister die Bereitschaft, die noch unbebauten Grundstücke in Hettstadt wieder abzugeben. Im Gegenzug solle Zorn auf Grundstückssuche im Würzburger Umland gehen. Der Bürgermeister lehnte ab.