Momper beklagt „parteipolitische Scheuklappen“

Interview mit Berlins Regierendem Bürgermeister Walter Momper zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Momper, einen gemeinsamen Vermittlungsauftrag der Länderjustizminister an Frau Süssmuth und Herrn Schmude wird es nicht geben. Ist Ihr Versuch, im RAF-Hungerstreik Bewegung in die „gegenseitigen Blockaden“ zu bekommen, vorzeitig gescheitert?

Walter Momper: Es ist bedauerlicherweise so, daß Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz nicht bereit waren, den Rahmen für den Vermittlungsauftrag an Frau Süssmuth und Herrn Schmude zu beschreiben. Damit konnte die zwangsläufige Voraussetzung für die Vermittlung nicht geschaffen werden. Aber es bleibt bei dem Auftrag an Herrn Kinkel, seine Gespräche mit den Häftlingen fortzuführen. Ein Teilziel ist im übrigen erreicht: Durch die öffentliche Diskussion über die Initiative ist Bewegung in die Angelegenheit gekommen. Es sollte darüber hinaus jetzt niemand die Bereitschaft von Frau Süssmuth und Herrn Schmude ohne weiteres abschreiben. Ich vermute, daß wir bei der Bewältigung des Terrorismus und der Folgen, die uns aus den siebziger Jahren überlassen worden sind, die Hilfe solcher Persönlichkeiten noch bitter nötig haben werden.

Aktuell sind Sie nicht nur mit ihrer konkreten Initiative gescheitert, sondern auch mit dem Versuch, den Hungerstreik aus dem Parteienstreit herauszuhalten. Haben Sie das erwartet?

Nein, ich habe es so nicht erwartet. Ich bedaure sehr, daß insbesondere die bayerische Justizministerin sofort aus einer sehr engen parteipolitischen Sicht polemisch öffentliche Retourkutschen gefahren hat. Andere haben sich daran beteiligt. Und dies, obwohl ich es peinlich vermieden habe, eine inhaltliche Festlegung zu treffen, was geschehen müßte. Auch durch die Auswahl von Frau Süssmuth und Herrn Schmude habe ich deutlich gemacht, daß ich Persönlichkeiten haben wollte, die weit über ihre Parteigrenzen hinaus gesellschaftlich anerkannt sind. Es ist schon sehr bedauerlich, daß selbst ein so schwerwiegendes gesellschaftliches Problem nicht ohne parteipolitsche Scheuklappen bewertet werden kann.

Es wird behauptet, der Regierende Bürgermeister von Berlin habe erfolgversprechende Gesprächsversuche des Staatssekretärs Kinkel torpediert, und man müsse fürchten, nun wieder ganz von vorn anfangen zu müssen.

Das ist einfach Unsinn. Im Gegenteil: Es ist ja so, daß die auch für mich erkennbar von gutem Willen getragenen Bemühungen vieler Justizminister jetzt öffentlich deutlich geworden sind. Ich denke, unsere Initiative ist eine Unterstützung für diejenigen, die sich bemühen, eine Ebene des Austausches und auch konkrete Ergebnisse hinzubekommen.

Das sehen die von Ihnen genannten Länder, aber auch Herr Engelhard offenbar anders. Sie sind von Ihrer Initiative sehr überrascht worden, und entsprechend reagieren sie.

Es ist doch einfach eine naive Auffassung, so zu tun, als könne ein so drängendes gesellschaftliches Problem, ein so den inneren Frieden in unserem Land beeinflussender Vorgang im Stile der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts abgewickelt werden. Die ganze oder jedenfalls eine Mehrheit der Gesellschaft muß sich darüber klar werden, wie man mit den aus den siebziger Jahren gebliebenen „Lasten“ umgeht; wie man vermeidet, daß Menschen in der Haft in einer Situation sind, wo sie glauben, sich zu Tode hungern zu müssen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Der Glaube, dieses alles hinter Kulissen ablaufen lassen zu können, zeigt nur ein unzureichendes Verständnis für die Politik in einer offenen Gesellschaft. Das könnte auch nicht zum Erfolg führen, weil ein öffentliches Verständnis für die staatlichen Maßnahmen dann nicht vorhanden wäre. Das würde nur zu einer neuen Staatsverdrossenheit führen, diesmal eher bei den Älteren.

Wie soll es jetzt weitergehen? Wie groß schätzen Sie die Chancen ein, jetzt noch eine Lösung im Konsens aller Länder zu finden?

Das kann man wirklich nicht abschätzen. Man muß das dann sehen, wenn konkrete Gesprächsergebnisse vorliegen. Alles andere ist Herumstochern im Nebel.

Konkreter: Gibt es überlegungen, wenn sich die Situation weiter zuspitzt, mit anderen Ländern gemeinsam, etwa mit Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, eine „kleine Lösung“ zu finden?

Überlegungen gibt es in jede Richtung. Aber ich möchte nicht mit Spekulationen die derzeit laufenden Bemühungen torpedieren, eine Lösung zu erreichen, die von allen Ländern mitgetragen werden kann. Mir ist auch klar, daß partielle Lösungen erst recht in den parteipolitischen Streit geraten würden. Ich glaube, daß den einsitzenden Häftlingen damit genau nicht geholfen wird.

Dann stehen Sie wieder vor dem gleichen Dilemma wie vor Ihrer Initiative. Es dauert eben lange, Einigkeit unter vielen Ländern zu erzielen. Wann ist der Punkt da, wo Sie sagen: Jetzt müssen wir versuchen, wenigstens eine „kleine Lösung“ hinzubekommen?

Wir müssen doch mal abwarten, ob nicht die laufenden Bemühungen zum Erfolg führen. Warum soll ich schon im vorhinein einen Mißerfolg konstruieren, wo er noch nicht abzusehen ist.

Es bleibt doch der alte Knackpunkt bestehen, der lautet: Wer ist bereit, notfalls auch Gefangene aus anderen Ländern aufzunehmen. Sie haben das im Fernsehen fast gesagt und anschließend in einer Pressemitteilung wieder relativiert.

Also: Wenn es das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen ist, daß Berlin zusätzliche Häftlinge aufnimmt, sind wir selbstverständlich dazu bereit. Alle meine Erklärungen bedeuten, daß ich mögliche Vermittlungsergebnisse von Herrn Kinkel oder von Frau Süssmuth und Herrn Schmude selbstverständlich für uns gelten lasse. Aber ich kann und ich will kein anderes Bundesland aus seiner Verpflichtung entlassen. Da muß jeder sein Päckchen tragen. Wir sind selbstverständlich bereit, auch bei Zusammenlegungen zusätzliche Häftlinge aufzunehmen.

Das sagen so ähnlich andere Länder auch und drehen sich so im Kreis. Warum sagen Sie nicht einfach: Wir sind dazu bereit, wenn zwei oder drei weitere Länder mitmachen?

Ich sage das nicht, weil das Ergebnis ja noch nicht vorliegt. Alle sind gleichermaßen betroffen. Da müssen alle mitziehen. Das ist nicht von einem Land im Alleingang zu lösen. Auch nicht von Berlin.

Auch nicht von drei Ländern?

Nein! Wir haben elf Bundesländer. Die müssen auch ihren Beitrag leisten.

So könnten Sie zu recht argumentieren, wenn die Zeit nicht so drängen würde. Irgendwann muß doch der Versuch unternommen werden, es auch mit einer „kleinen Lösung“ zu versuchen.

Ich bin gerade den 15. Tag im Amt. Wir haben getan, was wir konnten. Der Berliner Senat ist weder die Feuerwehr der Nation, noch können wir die Probleme des Landes im Alleingang lösen.

Interview: Gerd Rosenkranz