Waffenstillstand in Namibia

Übergangsprozeß zur Unabhängigkeit Namibias beginnt heute / UNO-Sonderbeauftragter in Windhuk  ■  Aus Windhuk Hans Brandt

„Ich habe das Gefühl, daß wir uns auf der Schwelle zu einem historischen Prozeß befinden, sagte Martti Ahtisaari gestern, wenige Minuten, nachdem er namibischen Boden betreten hatte. Ahtisaari ist Sonderbeauftragter des UNO -Generalsekretärs und Leiter des UNO-Kontingents in Namibia. Den heute beginnenden Übergangsprozeß zur international anerkannten Unabhängigkeit des Landes nannte er eine „einzigartige und pionierhafte Vision“, die für die ganze Welt beispielhaft sein könnte.

Begrüßt wurde Ahtisaari am Flughafen von seinem südafrikanischen Gegenspieler, Generaladministrator Louis Pienaar. Der Mann, dessen Verwaltung gegen die südwestafrikanische Volksorganisation Swapo als „Kommunisten“ agitiert und dessen Soldaten gegen „Swapo -Terroristen“ gekämpft hatten, begrüßte nun die in wenigen Wochen zu erwartende Rückkehr der im Exil lebenden „Swapo -Kader“. „Wir wünschen uns 'Versöhnung‘ als das Motto der politischen Parteien, die an dem Prozeß beteiligt sind,“ sagte Pienaar. Zwar hat heute morgen der formale Waffenstillstand zwischen Südafrika und der seit 23 Jahren für einen unabhängigen Staat Namibia kämpfenden Swapo begonnen. Dennoch ist kein „Geist der Versöhnung“ zu spüren. Das Gewaltpotential ist groß. Zahlreiche weiße Bewohner des Landes hassen die UNO - und sie sind schwer bewaffnet und fast alle militärisch ausgebildet. Acht UNTAG-Soldaten (United Nations Transitional Assistance Group) wurden letzte Woche von weißen „Südwestern“ zusammengeschlagen.

Vor den Toren des Flughafens wurde der finnische UNO -Diplomat von etwa 3.000 Anhängern der „Demokratischen Turnhallen Allianz“ (DTA) empfangen, jener Partei, von der Südafrika sich zumindest eine Verhinderung eines Zweidrittelsieges der Swapo in den für November geplanten Wahlen erhofft. Aus dem ganzen Land waren die Leute in Bussen und Sonderzügen hierher transportiert und umsonst verpflegt worden.

Swapo hatte andererseits seine Anhänger aufgefordert, nicht zum Fortsetzung Seite 6

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Flughafen zu gehen. Daniel Tjongarero, amtierender Swapo -Vorsitzender, sagte, daß der Organisation Pläne der Südafrikaner bekanntgeworden seien, durch Provokationen Auseinandersetzungen mit den DTA-Anhängern herbeizuführen. Abgesehen von dem Gewaltpotential in der Bevölkerung ist die genaue Zusammenarbeit zwischen Pienaar und Ahtisaari noch nicht geklärt. Den Rahmen gibt die UNO-Resolution 435 von 1978, ergänzt durch Vorschläge der sogenannten westlichen Kontaktgruppe (BRD, USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich). Darin ist ein genauer Zeitablauf für den Prozeß festgelegt. Der Administratorgeneral kontrolliert ausdrücklich die tägliche Verwaltung des Landes. Die UNO hat Mit

spracherecht, wenn es um Vorbedingungen für freie und faire Wahlen und um die Wahrung der Unparteilichkeit beider Seiten geht.

Die Abschaffung diskriminierender Gesetze und die Freilassung politischer Gefangener muß durchgeführt werden. Pienaar will jedoch nicht alle rassistischen Gesetze, sondern nur solche, die die Wahlen beeinflussen könnten, streichen. Und über die Definition dessen, was ein politischer Gefangener ist, wird es Streit geben.

Das Wahlgesetz wird von Pienaar verabschiedet werden. Doch die konkreten Bestimmungen müssen noch in Verhandlungen formuliert werden. So will Pienaar ein Wahlalter von 21, die Swapo jedoch fordert die Wahlberechtigung für 18jährige. Südafrika möchte Einwohner nach nur einjährigem Aufenthalt das Wahlrecht einräumen, Swapo fordert eine fünfjährige Aufenthaltspe

riode.

Der Unabhängigkeitsprozeß beginnt heute, während die UNO mit dem Aufbau der UNTAG noch weit im Hintertreffen liegt. 416 Millionen Dollar soll die UNO-Operation kosten. Doch von den 4.650 geplanten Soldaten sind weniger als 1.000 im Land, nur wenige der 500 Polizeibeobachter sind angekommen und auch der Verwaltungsstab von mehr als 1.500 ist noch lange nicht aufgebaut. Es mangelt an Brüroräumen, Unterkunft und Fahrzeugen für das Personal. Dennoch hoffen alle Seiten, daß die UNO bis zur Auflösung südafrikanischer Militäreinheiten und der Rückkehr der Swapo-Guerilleros in sechs Wochen voll operationsbereit sein wird. Denn dann werden sich die bisherigen Feinde als Zvilisten gegenüber stehen. Fortsetzung Seite 6

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