Gottes Haus am Marktplatz

■ Predigt von der christlichen Gemeinschaft vor leeren Bänken im Dom

Ein herrlicher Sonntag, die Frühlingsluft zieht ins Freie, aber für die Kaffee- und Cafe-Tische draußen ist es noch ein wenig zu kühl. Der Dom ist neben dem Rathaus das überragende Gebäude am Bremer Marktplatz, die Glocken läuten, Sonntag 10 Uhr: Domprediger Abramzik soll heute über die Gemeinschaft predigen, über das Angewiesen-Sein auf den anderen: „Wir brauchen andere Menschen“, sagt er, „wir sind auf die Gemeinschaft angewiesen“, nicht nur die Säuglinge, die ohne die Stimme anderer zu hören nicht sprechen lernen, ohne die anderen nicht richtig „Mensch“ werden können, auch wir Erwachsenen: „Die entscheidenden Dinge im Leben beantworten wir nicht allein.“ Der Bibeltext erzählt von der Auferstehung und dem ungläubigen Thomas, der Glaube „Christ ist erstanden“ stiftet die Gemeinschaft der Christen, der Glaube gibt die Kraft „zusätzlich zu den Alltagserfahrungen“, das „Osterlicht“ hilft gegen die „Resignation vor dem Tod“ die „Verzweiflung in unserem Leben“.

Der Dom ist weitgehend leer, ein-, zweitausend Menschen hätten gut Platz darin, an die hundert sitzen verstreut in den Reihen und hören die Predigt über die Kraft des Glaubens und die christliche Gemeinschaft an. Der Hall der Lautsprecheranlagen ist völlig unangemessen, die Stimme des Dompredigers würde ausreichen - säßen die Menschen nur etwas näher zusammen, stünde er nicht so weit weg und oben auf der Kanzel. Als Ort der christlichen Verkündung, als Gotteshaus ist der Bremer Dom nicht mehr in seiner Größe genutzt, einigermaßen voll ist es höchstens bei festtäglichen Konzerten. Warum wird so krampfhaft versucht, den großen Rahmen für das althergebrachte kirchliche Gottesdienst -Ritual zu reservieren, wo eine kleine Gemeinde beinahe trotzig Sonntag für Sonntag die Unangemessenheit des kirchlichen Anspruchs demonstriert, der da am Marktplatz -zig Meter hoch aufgebaut steht, eben seit Jahrhunderten. Wer würde heute noch einen Dom als Gottesdienst-Raum bauen?

Die Frage provoziert natürlich die Gegenfrage: Wie könnte dieser traditionsreiche und ehrwürdige Raum am Marktplatz heute aktuell und angemessen genutzt werden? Nicht für Reden über „Gemeinschaft“ vor leeren Bänken, sondern für die Stadt -Gesellschaft? Solange diese Frage ohne Antwort ist, bleibt die paradoxe Predigt das zentrale Ereignis im Dom: „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben.“

Zum Eingang sang die Gemeinde gestern im Dom-Gemäuer: „Die güldene Sonne voll Freud und Wonne bringt unseren Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes liebliches Licht. Mein Auge schauet, was Gott gebauet...“

Klaus Wolschner