Selbstsicherheit und Naivität

■ Ein letztes Wort zur Städteumfrage der „Wirtschaftswoche“ / Bremen durch solide Mittelwerte auf Platz eins / Nivellierung des Nord-Süd-Gefälles wird prophezeit

Treffen sich zwei Bremer. Sagt der eine: „Moin“. Sagt der andere: „Moin“. Der eine fragt: „Geht's denn?“ Antwort: „Muscha“. Replik: „Meins auch so.“

Dann trennen sich die Wege der Beiden: „Tschüß“. So sollen sie sein, die Leute in unserer Stadt, „selbstsicher, naiv, vornehm und wortkarg“, zumindest, wenn man dem Portrait der „Wirtschaftswoche“ vom gemeinen Bremer Durchschnittsbürger glauben will. Die Düsseldorfer Zeitschrift fügt über das Ambiente der Stadt hinzu: „Die Überschaubarkeit der eher geruhsamen als hektischen Stadt, der Reiz ihres historischen Kerns und die Atmosphäre weitläufiger Wohnviertel binden die Bürger in eine Art Netzwerk ein. Das ist die Basis für Wohlbefinden.“ Gelobt wird vor allem - es zählt für die Macher am meisten, was sich rechnet - das Bremer Einverständnis zwischen Rathaus, Handelskammer und Industrie, der innovative High-Tech Park an der ideologiebereinigten Universität und neben Mercedes das Grunau-Werk auf dem AG-Weser-Gelände sowie die Datenbank Bremer Häfen. Über Bremens Perspektive sagt die „Wirtschaftswoche“: „Das Gröbste dürfte wohl überstanden sein, eine Turnaround-Situation steht zu erwarten.“

Zitate aus dem Stadtportrait, die der Umfrage: „Wo lebt man am liebsten“ angehängt waren. Sie hat den BremerInnen in der

letzten Woche viel Freude gemacht. Denn verglichen wurden nicht objektive Indikatoren. Da hätte die Stadt mit 15 Prozent Arbeitslosigkeit, Strukturkrise und Verschuldung schlecht abgeschnitten. Gefragt wurde vielmehr nach der subjektiven Einschätzung der BürgerInnen über die Stadt. Dabei kam heraus, daß Bremen die Großstadt mit dem höchsten Identifikationsgrad für ihre BürgerInnen ist.

Die Ergebnisse von jeweils 1.000 Interviews in zehn Großstädten waren folgende: Nach der Entwicklung von Wirtschaftsklima und Arbeitsmarkt in ihrer Stadt befragt, zeigten sich die BremerInnen verblüffend optimistisch. Sie gehen davon aus, daß die Arbeitslosigkeit zurückgehen wird und glauben an die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse . Selbst die Menschen in Hamburg oder Düsseldorf sind da zurückhaltender und nur Frankfurt, Stuttgart und München haben optimistischere BürgerInnen. Bei der Einschätzung über die Umweltbelastung nimmt Bremen unter den zehn Großstädten einen Mittelplatz ein, und einverstanden waren die Befragten auch mit den eigenen Behörden und Verwaltungen. Recht weit oben steht Bremen in der Zufriedenheit

mit der Innenstadt. Auf die Frage, ob sie gerne in der Stadt wohnen oder lieber woanders zuhause wären, zeigten über 80% der befragten BremerInnen Bodenständigkeit: Hier leben sie, hier wollen sie bleiben. Nur Münchner- und HamburgerInnen sind lokalpatriotischer.

In keiner Kategorie ist Bremen Spitzenreiter. Aber die solide Mittelmäßigkeit ergibt in der Addition der Plätze die erste Position. Die „Wirtschaftswoche“ kommt über diesem Ergebnis ins Grübeln und leitartikelt: „Ist der wirtschaftliche Erfolg bei den Bürgern nicht mehr gefragt? Wird er dort, wo er sich eingestellt hat, als gegeben angesehen? Oder liegt der Schlüssel in den Wachstumsschmerzen, der Kehrseite wirtschaftlicher Erfolge: in den anziehenden Boden- und Wohnungspreisen,...den steigenden Umweltbelastungen?“ Sie orakelt: „Nachteile von heute können morgen zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen werden. Wenn in den neunziger Jahren die jungen Arbeitskräfte knapp werden, preiswerte Wohnungen und Gewerbeflächen gesucht und heilere Umwelten geschätzt werden, dann haben die Verlierer von gestern ihre großen Chancen.“ FWG