DIE DDR ALS OPERETTENSTAAT

■ Offenbachs „Banditen“ an der Komischen Oper

Sind unsere Zeiten operettenhaft? Wohl alles andere auch. Als jedoch Jacques Offenbach die Pariser Gesellschaft zum wahren Operettenrausch animierte, müssen die Zeiten danach gewesen sein. Schon bei Johann Strauß verflachte dann das Ganze zu einem blödsinnigen Walzerschmäh. Wenn nun heute ein Regisseur wie Harry Kupfer sich der sogenannten leichten Muse verschreibt, mögen die Erwartungen hoch angesetzt werden. Allein das Resultat ist ärgerlich, weil es die Kunst des Herrn Offenbach als die scheinbar langweiligste vorführt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber war sie alles andere, nur langweilig nicht (wenn den zeitgenössischen Berichten geglaubt werden darf, woran nicht gezweifelt wird).

Während die Bühne der Komischen Oper derzeit und für die nächsten Monate überholt wird, läßt Harry Kupfer Offenbachs Banditen halb im Saal spielen. Die Szenerie sieht aus, als ob die Ausstatter Reinhart Zimmermann (Bühne) und Eleonore Kleiber (Kostüme) den Fundus einmal gründlich ausgekehrt und mit all dem Plunder die über dem Orchestergraben gebaute Bühne vollgestellt haben. Eine einzige Hilflosigkeit das alles mit dem Charme einer drittklassigen Wanderbühne - Kitsch as Kitsch can.

Offenbachs Les Brigands kamen 1869 als eine Mischung aus buffonesker Operette und Operacomique heraus. Es ist eine Satire auf die Finanzwelt, die die Einsicht vermittelt, „man muß je nach der Position stehlen, die man in der Gesellschaft einnimmt“. Und Offenbach machte sich über die staatliche Autorität lustig, wenn die Karabinieris von sich selbst sagen, sie würden zu allem zu spät kommen. Ihr Markenzeichen: „Die Stiefel, sie trappen, sie trappen“ und mehr auch nicht. Der Räuberhauptmann Falsacappa hat die rettende Idee, vom mühseligen Geschäft der Wegelagerei wegzukommen. Die Räuberbande zieht an den Hof von Mantua, wo sie den großen Drei-Millionen-Coup zu machen hofft. Weil dort aber die größeren Banditen daheim sind, wird sich Falsacappa mit einem 1.000-Franc-Schein und der Beförderung zum Chef der Polizei zufrieden geben.

Vielleicht hatten die Autoren Meilhac und Halevy Verdis „Rigoletto“ im Sinn, als sie den 3. Akt der Banditen ausgerechnet nach Mantua verlegten. Denn wie bei Verdi lebt dort ein Herzog als parvenühafter Schürzenjäger. Vielleicht hatten sie damit auch an den Spürsinn des Publikums appelliert, denn Verdis Libretto ging bekanntlich auf Viktor Hugos Drama „Le Roi s'amuse“ zurück, das damals einen politischen Skandal sondergleichen auslöste. Zu deutlich schlug das Stück in die Kerbe der linksorientierten „Brigands de la pensee“. Harry Kupfer und Eberhard Schmidt, die den Text bearbeiteten, kamen leider nur zu platte und allzu schwache Aktualisierungen in den Sinn. Das Gelächter über die buchstäbliche „Sauwirtschaft“ dieses Staates, der unschwer als DDR zu erkennen ist, blieb eher dürftig. Zu Offenbachs Zeiten dürfte es ein Gelächter gewesen sein, das nicht nur die anbefohlene Stille durchdrang, sondern das Publikum zur Opposition reizte, wo es sich scheinbar nur amüsierte (S. Kracauer).

Heute reicht das Gelächter über das „Glas Most“ gerade bis zum Ausgang der Komischen Oper, um danach in „anbefohlene“ Stille überzugehen. Erklärtes Ziel von Kupfers Regie ist Lebendigkeit, was allerdings zumeist auf unmotivierte Personenführung hinausläuft. Es ist blinder Aktionismus, wenn unentwegt gestampft, gerannt, gehüpft wird und immer wieder Chor und Statisterie auf dem Boden herumpurzeln, als wären sie allesamt fallsüchtig. Das hat weder Witz, macht auch keinen Sinn und führt nur dazu, daß von Offenbachs Musik kaum noch etwas gehört wird. Schade fast um die Bemühungen des Orchesters und seines Dirigenten Robert Hanell, die musikalischen Verstand jedenfalls aufbrachten, der dem Rest des Unternehmens abging. Ist es mit gesanglichen Leistungen an der Komischen Oper ohnedies mäßig bestellt, so ließ manche Besetzung dieses Abends eher erschaudern. Zu glauben, für Operette brauchte man nicht singen zu können, ist ja wohl ein grobes Mißverständnis. Diese Banditen sind allzu dürftiger Klamauk, nur zahnlose Satire.

ec

Nächste Vorstellungen: 4., 5., 8., 10. bis 12., 14. bis 16., 26. bis 29. April und einige Termine im Mai.