Swinging Metropolis

■ 23. Kein Groschen für Pepusch

Dem großen Kollektivboß Brecht seine Schreibfabrik ist eigentlich nur die Apotheose einer Strategie marxistischer Nutzbarmachung von Tod & Teufel, Mensch & Ideologie. Einer, dem dies rechtschaffen stinkt, ist Hellmut Draws-Tychsen, mit neurotischer Vehemenz seinen dichterischen Individualismus ins Kalkül schmetternd. Nur: Brecht bleibt berühmt, der andere lebt weitgehend als Literaturfigur, charakterisiert in Marieluise Fleissers Tiefseefisch. Sie, die sich mit dem exaltierten Schriftsteller verlobt, als trotzige Alternative sozusagen, ist nicht die einzige Spielbällin erotischer Verquickungen im Brechtschen Privatleben. Als der Meister beiläufig erklärt, er habe Helene Weigel geehelicht („Es war unvermeidlich, aber es hat nichts zu bedeuten.“), haut das auch Carola Neher, mit der ihn bereits seit seiner Münchener Zeit ein Techtelmechtel verbindet, von der Sofakante. Elisabeth Hauptmann, apostrophiert als „Assistentin“, „Sekretärin“ oder „Mitarbeiterin“, unternimmt einen Selbstmordversuch. Nach erfolgter Genesung widmet ihr der lose Lover ein Trostgedicht, in dem er an ihre „besondere Einsicht“ appelliert. Grad sie hat sich stets die Haxen ausgerissen, ihrem Chef zu Diensten zu sein. Als historisch ergiebigstes Schnäppchen entdeckt & übersetzt dies fleißige Lieschen 1927 John Gays Beggar's Opera. BB reibt sich die zarten Arbeiterhände ob der leckeren Satire aus dem 18.Jahrhundert, alsbald frönend seiner Lieblingsbeschäftigung: klau as klau can. Gesindel heißt er nun das Spiel, welches zu bearbeiten er sich anschickt, worunter in der Hauptsache zu verstehen ist das Einfügen neuer Couplets, Songs & Balladen, im Schweiße seiner Füße selbst abgeschrieben von Fran?ois Villon & Rudyard Kipling. Tucholsky findet all dies gutschlecht, wird späterhin seinem ambivalenten Verhältnis zum Augsburger TheaterAvantgardisten poetischen Ausdruck verleihen; in der Weltbühne veräppelt Theobald Tiger dergleichen geistigen Diebstahl mit pseudoinnovativem Zeilenfall und der Überschrift LIED DER COWGOYS: 'Damn!'

Rudyard Brecht

Ramm! - Pamm! Ramm - pammpammpamm!

Wir stammen vom Mahagonny Stamm

Wir sind so fern und sind so nah!

Wir stammen aus Bayrisch-Amerika. Ahoi geschrien!

Und ob! Land in Sicht für ein Musical, das nicht mal seinen Titel vom Herrn Bearbeiter bekam. Erst auf Vorschlag von Lion Feuchtwanger wird daraus die Dreigroschenoper. Genau im rechten Moment zusammengestoppelt, bietet Brecht das Werk dem frischgebackenen Theaterdirektor Aufricht an, der somit endlich weiß, wie die Eröffnung seines Theaters am Schiffbauerdamm aussehen wird. Ein kleines Problem allerdings (Eines? Haha!) haben die Musen vors Bühnendebüt gesetzt. Die Melodein, seinerzeit von einem gewissen Christopher Pepusch als Parodien auf Händels Opern gedacht, sind nicht mehr brauchbar, unzeitgemäß und dem Umschreiber einfach zu brav. Also muß Weill wieder ran. Vor diesem allerdings graust dem Intendanten, seit er dessen reichlich atonalen OpernEinakter Der Zar läßt sich photographieren sah. Vorsichtshalber setzt er deshalb seinerseits Theo Mackeben auf die Lieder an. Und da schau her: Die Zusammenarbeit beider Komponisten - folgend Brechtscher Ohrwurm-Intention - erweist sich als überaus erfolgreich, wie wir heute wissen. Der Stückeschmied dankt's seinem komponierenden Freunde Kurt anläßlich der Verwertungsrechte, indem er dessen Tantiemenanteil von zweieinhalb Prozent auf eineinhalb herunterhandelt.

Die Inszenierung jedenfalls soll den Siegeszug des „epischen Theaters“ anleiern, Aufrichts Bühne zu revolutionärem Ruhm führen. Mit BB als Hausautor und dem Ensemble Helene Weigel, Carola Neher, Lotte Lenya, Oskar Homolka, Peter Lorre, Theo Lingen, Ernst Busch formt sich eine neuartige Schauspielerei ambitionierter Prägung. Die Mimen „waren keine Beamten der politischen Bewegung und keine Priester der Kunst. Sie hatten als politische Menschen ihre soziale Sache vorwärtszubringen vermittels der Kunst und vermittels aller anderen Mittel“, erinnert sich der Prinzipal, und dies Prinzip begegnet uns wieder an Peter Steins noch frischer Schaubühne, da die Akteure ihr Spiel um freiheitsbewegte Spendensammlungen erweiterten. So geschehen in Zeiten weltweiten Vietnams.

Ein Kleinkrieg ungezählter Widrigkeiten bahnt sich an, als Carola Neher, „das flächige, unregelmäßige Gesicht mit der Katzennase“, ihre PollyRolle, die sie schlichtweg zu klein findet, unsanft niederlegt. Außerdem hat Klabund, mit dem sie inzwischen verheiratet ist, ebenfalls Villon übersetzt; so mag auch diesbezügliche Empfindlichkeit mitschwingen. Obwohl Brecht spontan ihren Part vergrößert, während der Nachtprobe Neues erdichtet, pfeffert sie früh um fünfe das Manuskript vor Aufrichtens Füße. „Spielen Sie das Zeug allein!“ verabschiedet sie sich. Bruder Caspar Neher hingegen bleibt seinem Schulfreund Bertl als Bühnenbildner treu, und auch Carolchen wird - Launen hin, Zicken her nach Klabunds frühem Tod wieder mit ihm zusammenarbeiten.

Auf den letzten Drücker springt Roma Bahn für sie ein, vier Tage vor der Premiere, an deren Zustandekommen so mancher Experte gar nicht mehr glauben mag. Brecht und Regisseur Erich Engel konversieren nurmehr in gepflegten Verbalinjurien, Helene Weigel wird von einer Blinddarmreizung heimgesucht, ihre Rolle als Puffmutter ersatzlos gestrichen, und nach der Generalprobe, die sich bis in die Morgenstunden des Premierentages zieht, schließt Rosa Valetti, die Frau Peachum, ganz defaitistisch einen Vertrag mit dem Kabarett der Komiker ab - gleich für den Abend danach. Und dann war da noch die Sache mit dem PappSchimmel. Auf diesem Vieh sollte der Bote herangleiten, Macheath die Begnadigung zu überreichen. Doch sind die Schienen falsch berechnet; Roß & Herold würden im Zuschauerraum landen. Noch anderthalb Stunden vor Uraufführungsbeginn sind sich Brecht & Weill einig in heiligem Zorn: „Dieses Theater habe ich zum letztenmal betreten!“ Beide lügen - sonst wäre ja der ganze Knatsch mit Harald Paulsen für die Katz gewesen. Der OperettenBonvivant will seinen Mackie Messer unbedingt im oberschnieken Kitschkostüm hinlegen. (Wozu nun wieder jener versehentlich gelieferte Papageienvorhang paßt, den Brecht stante pede gegen Sackleinen austauschen läßt.) Der Melonen- & GamaschenLook erfährt seine Krönung in der himmelblauen Seidenschleife, die so gut zu Paulsens Augen paßt. Als alles Reden & Toben nichts fruchtet, spricht also Bertolt, der Weise: „Lassen wir ihn also süßlich und charmant. Wir führen ihn durch eine Moritat ein, die seine Schandtaten besingt, um so unheimlicher wirkt er mit seiner hellblauen Schleife.“ Seither wissen wir, daß der Haifisch Zähne hat, mitten im Gesicht.

Norbert Tefelski