ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Die Plakatmaler

Die alte Warhol-Einsicht, daß das Pop-Schöne plakativ ist, nicht ziseliert, muß Walter Dahn schon mit der Muttermilch, spätestens aber mit den ersten selbstgekauften Hit-Singles eingesogen haben. Mit halben Sachen gibt sich der Beuys -Schüler und Ex-Wilde seither nicht mehr ab. Sein Versuch, nach langjährigen Spitzennotierungen in den weltweiten Malerei-Charts auch in den richtigen Hitparaden ein wenig mitzustürmen, setzt folgerichtig ganz auf international standard, die große Produktion, die volle Dröhnung. Satte Gitarren, Super-Riffs, Power-Chords, Background-Girls, die schon bei Wham geschluchzt haben, all das. Springsteen auf deutsch. U2 profan, dafür waren Dahn und Polydor 250.000 Mark Produktionskosten nicht zuviel.

Nun trägt diese Band aber den Namen „The Jewellers“ und nicht etwa: Die Plakatmaler. Im Titel des Projekts, das neben Dahn und diverser Studiotechnik noch aus dem Gitarristen und gelernten Schaufenstergestalter Ralf Schneider besteht, kehrt der Gedanke vom Erlesenen, Einmaligen prompt wieder: Unter tausend sinnlos aufgeknackten Austern die eine mit der Pop-Perle drin finden, die wiederum in Tausenden von Tagen aus einem schmerzhaften Einschluß heraus sich zur reinen Schönheit geläutert hat. Selbige dann in einer handgeschmiedeten endgültigen Fassung auf ewig konservieren, so etwa lautet die namengewordene Kehrseite des Jewellers-Programms, ein pathetisch wiederholtes „we last forever, we last forever, we last forever, we last forever“ („Rain or Shine“).

Dahn/Schneider geht es um die handwerkliche Rekonstruktion eines Effekts: des Glücksmoments, in dem das Industrieprodukt - im besten Fall mehr als jede subjektiv ausgeschüttete Restpsyche - zu rühren vermag; des Augenblicks der Gratis-Ekstase, wo sich im Designergewand unverhofft und wärmend die Beuyssche Fettecke durchdrückt. Planziel ist - auch nach eigenem Bekunden - „der wahre Schein großer, echter Emotion“, wie ihn die Single Crying Hoping Waiting in Breitwandsound einbleut: „I was searching for some meaning in meaningless times/searching for some poetry where really nothing rhymes...“

Doch so einfach ist nicht frei zu generieren, was normalerweise der strengen Anarchie von Geld, Sex, Produktionstechnik und Nach-oben-wollen entspringt. Beachtlich, wie Schneider die gängigen Hardrockphrasen von den Fingern gehen, wie Dahn ein „Yeaaahh!“ herauszwängt fast als hätte er nie Kunst studiert. Aber dem Ganzen fehlt einfach die ondulierte Anmut einer echten Heavy-Metal-Locke. Überbau strikes back. Zu wissen, es ist Dahn, das trennt die Filigrankunstschmiede der Jewellers trotz Super-Power -Package von echtem Talmi. Forever. Die Rührung liegt woanders. Man hört einem Künstler zu, der mit 34 spät pubertiert.

Die Überlegenheit des wahren Pop-Produkts erweist sich stets neu im Wegfallen all der Probleme von Schein und (künstlerischem) Bewußtsein. Alles ist bloß, wie es ist. Das Depeche-Mode-Power-Paket umfaßt die Platte zum Film, den Film zur Tour, die Tour wieder zur Platte - von Video und Buch ganz zu schweigen. Das Symbol der Gruppe ist ein großer Lautsprecher, nichts weiter. Heraus kommt Music for the Masses. Die tautologische Botschaft: „People are People“. „Thank you“ sagen sie auf eine Art ins Mikrophon, die nur „Thank you“ meint.

„101“ dokumentiert ein Live-Konzert, das Depeche Mode am 18. Juni 1988 in der Rose Bowl, Pasadena, gaben. Ein willkürliches Datum, hervorgehoben bloß durch die Tatsache, daß es das 101. Konzert einer Mammuttournee war und daß an diesem Tag ein Besucherrekord gebrochen wurde. Auf der Stadionanzeige steht in Leuchtschrift „Concert for the masses“. Sogar die Akteure selbst sehen zufälliger aus als andere, kaum kann man sie auseinanderhalten: Ah, sagt man sich, das ist wieder der mit der Brille, das da der mit dem dicken Hintern und der Waver-Frisur. Kenn‘ ich, bloß woher? Ach ja, das sind ja die Stars. Und schon kreischt der Teenagerchor wie zur Bestätigung auf. „Thank you“, sagt da diese Stimme wieder, aus der man jetzt doch eine überlegene Intelligenz heraushören möchte. Ob es sie nun gibt oder nicht: hier resonniert das it, das den Jewellers fehlt.

Thomas Groß

The Jewellers

The Jewellers (Polydor)

Depeche Mode

101 (Mute/Intercord)