Rossi, Speedy, Zsolty & Co

Trotz der Niederlagen gegen Belgien (2:5) und China (2:5) erreichte das bundesdeutsche Team mit einem hübschen 5:1-Sieg gegen Ungarn das Viertelfinale der Tischtennis-Weltmeisterschaft  ■  Aus Dortmund Petra Höfer

„Nein“, sagt der Herr in Blaßgelb-Grün, einer von 300 Polizeibeamten, die sich während der Tischtennis -Weltmeisterschaft in der Dortmunder Westfalenhalle zur Sicherheit der internationalen Pingpong-Elite die grünbehosten Beine vertreten. „Nein“, sagt er - trotz unmittelbarer Nähe eines TV-Gerätes, auf dessen Bildschirm gerade Frau Nemes (BRD) und Frau Gergueltcheva (Bulgarien) um einen 2,5 Gramm schweren Zelluloidball hupfen - gewiß in voller Unwissenheit über die Dramatik des Matches, das die deutschen Damen schließlich in den zweitklassigen Wettstreit um Platz 17 bis 32 verweisen sollte. Nein, er wisse nicht, wie es da stehe. Man treibe dort einen Sport, der ihn nun wirklich nicht interessiere.

So ist das mit dem Tischtennis, Pingpong als Leistungssport scheint in etwa so drollig wie Schach, Sportfischen oder Dressurreiten. Die Geheimlehre des Magic Ball (WM-Song, der - genau - Bundeswehr-Big-Band) mufft für Nichteingeweihte nach biederer Langeweile und kontaktscheuen Eigenbrötlern.

Trotz 700.000 Mitgliedern in den 10.000 Vereinen des Deutschen Tischtennis Bundes (DTTB), dem siebtgrößten Fachverband des Deutschen Sportbundes (DSB), ist der spitzensportliche Umgang mit kleinen weißen Plastikbällen 20 Jahre nach einem deutschen Vizeweltmeister (Eberhard Schöler) schon wieder Mauerblümchen im Mediensport. Eine von diesen körperlichen Ertüchtigungen, bei denen TV -Kommentatoren sich verpflichtet fühlen, ein stetes „Tischtennis ist ein sehr harter Leistungssport“ in die Moderation zu flechten. Zum WM-Achtelfinalspiel BRD - China (ordnungsgemäß 2:5 verloren) etwa hieß es: „Die Spieler trainieren alle zwischen fünf und sechs Stunden täglich. Die gehen nicht zum Training, sondern zur Arbeit.“ So ist das im Pingpong. Schau an.

DTTB-Präsident Hans Wilhelm Gäb, WM-Teilnehmer von 1959 und derzeit Top-Manager bei General Motors (Wohnort: Zürich), und DTTB-Sportwart Eberhard Schöler sind gerade weltmännisch und glamourhaft genug, um dem Leistungssport Tischtennis eine ausreichend bedeutsame Aura von Sport-Showbiz zu verleihen. Seit 1981 ringen sie für den DTTB um „Stolz“ und „Identität“ (Gäb) - unter anderem mit so unpopulären Maßnahmen wie „Ausländer-Stopp“ und einem handgearbeiteten Sportstar-Image für Jürgen „Rossi“ Roßkopf und Stefan „Speedy“ Fetzner.

Die nun tapern allerdings noch etwas unbeholfen durchs neugeweckte Medieninteresse, verheddern sich im „Erwartungsdruck“ und demonstrieren zur Pressekonferenz nach der unerwarteten 2:5-Achtelfinal-Niederlage gegen Belgien im wesentlichen Kommunikationsunwillen und Leid. Die Viertelfinal-Teilnahme schien aus den gut vorbereiteten Händen gerutscht. Roßkopf als beleidigte Spitzensport -Leberwurst: „Es wird jetzt bestimmt wieder eine Menge geschrieben, das ist aber ihr Problem.“ Rossi hatte schließlich Kummer.

Präsident Gäb dagegen hatte 53. Geburtstag, die obligatorische Marzipantorte in Form eines Tischtennistisches entgegengenommen und litt schon diplomatischer „mit einigem Abstand von der Truppe“. Er dankte „selbst in der Stunde der Not“ gegen 22 Uhr 15 für das noch immer nicht erloschene Medieninteresse und lächelte ein „Es zählt nur Härte, es zählt nur, Schwierigkeiten zu überwinden, der Weg wird länger, aber wir werden ihn weitergehen“ in die possierliche Presserunde.

Ich finde diese WM trotz allem spaßig: 537 Sportsmenschen nebst knapp 2.000 Betreuern und Offiziellen aus 78 Verbänden, 750 akkreditierte Journalisten, vorwiegend aus aller Welt, und leider bloß durchschnittlich 4.000 Zuschauer (14.000 passen rein) bei den Spielen an den sechs Centre -Court-Tischen im Riesenrund der Halle 1 und knapp 1.000 bei dem etwas unübersichtlichen Treiben an den 26 Tischen in Halle 4.

Trinidad gegen Guernsey

Da spielt Trinidad/Tobago gegen Guernsey, Madagaskar gegen Sri Lanka, Macao gegen Libanon. Über einer lässig und darum meist verkrumpelt ans Trikot gepinnten und nur noch per Feldstecher zu entziffernden Startnummer fliegen Rasta -Zöpfchen aus Jamaika. Irgend jemand trägt immer einen Turban zum Pingpong, die Engländerinnen tragen ordnungsgemäß Mintgrün. Neben mir stolpert ein Herr aus Jemen die Treppe hinunter und wird von einem spitzbäuchigen Tischtennis-Fan aus dem Ruhrpott herzlichst wieder auf die Beine gestellt. Zwei TT-Kids spielen Exotische-Unterschriften-Sammeln: „Da ist Nigeria“ und „Heeeey, Jordanien!“ und „Nein, ich hab was viel Besseres.“ War aber bloß ein Schotte, der ist eigentlich nicht sehr exotisch.

Pingpong-Basar

In Halle 3 gibt es eine Ausstellung über die Zeiten, als Tischtennis noch von feinen Herrschaften auf dem Eßtisch und in Abendrobe zelebriert wurde, eine 1.500-Tischtennisbälle -Sammlung mit Luft aus aller Welt drin und regelverstoßender Pastell-Marmorierung drauf und die fliegenden Händler der Branche mit Gerätschaft, Souvenirs und Zuschauer -Turnierchen, die gelegentlich mehr Interesse fanden als die Begegnungen in Halle 4. Besonders geschätzt wurden der Auftritt einer tischtennisspielenden Japanerin auf Stöckeln und die Fernsehgeräte am Mittwochabend: Werder gegen HSV.

Das wundert hier niemanden, denn besonders in der ersten WM -Runde finden im Tischtennis bessere Trainingsspiele der Favoriten gegen die Exoten aus Übersee oder von den Kanalinseln statt. Meistens endet das in weniger als einer Stunde mit einem 5:0-Sieg. Erst die zweite Runde der besten 16 bringt Ebenbürtiges an einen Tisch: Das großartige 5:4 der Schweden gegen Südkorea etwa dauerte am Freitag fünf Stunden und zehn Minuten.

Dennoch wird sich am diesmal sechs Millionen Mark teuren Austragungsmodus der TT-WM in den nächsten Jahren kaum etwas ändern. Die Tischtennis-Weltfamilie ist restlos demokratisch: Jeder der 136 Verbände hat eine Stimme, die Niederländischen Antillen, Guernsey und Isle of Man etwa können China und Japan jederzeit überstimmen. Und genau das tun die kleinen Verbände, wenn es um vorgelagerte Qualifikationsrunden oder Trennung des Mannschafts- und Individualwettkampfes geht. Alle zwei Jahre ist WM, alle zwei Jahre wird gereist, alle zwei Jahre sind wir alle, alle zusammen.

Fröhliche Gigantomanie, tonnenweises Verputzen von Fleisch, Fisch und Gemüsefeldern in 5.000 Mahlzeiten pro Tag. Die Kleinen lernen von den Großen, die Großen nölen immer etwas von Langeweile, die Medien verlieren meist vor WM-Schluß das rechte Interesse. Aber irgendwie wäre es doch auch enttäuschend, wenn die Schweizer niemanden aus Macao antreffen würden, dem sie die Schulter massieren könnten, wenn eine 17jährige als Attache für Jamaika keinen Heiratsantrag von einem der Spieler bekäme und von El Salvadors Damen-Team nicht wieder nur das Gepäck aufs Empfangskomitee warten würde. Die dazugehörigen Damen warteten diesmal beim Bundesgrenzschutz. Ihr Paß war für Europa nicht direkt gültig.

Bliebe als Anekdote der Zukunft womöglich bloß noch der Diebstahl des TT-Schlägers von Jan-Ove Waldner bei einem Fototermin. Schweden nämlich wird es bei jedem Austragungsmodus bis zur WM schaffen. Die Schweden sind Favoriten.

BR Deutschland - Ungarn 5:1

Jörg Roßkopf (Düsseldorf) - Zsolt Kriston 21:14, 16:21, 21:18, Georg Zsolt Böhm (Grenzau) - Zsolt Harczi 21:14, 21:11, Steffen Fetzner (Düsseldorf) - Tibor Klampar 20:22, 21:17, 21.14, Böhm - Kriston 21:11, 21:18, Roßkopf - Klampar 17:21, 22:20, 19:21, Fetzner - Harczi 21:12, 21:18