Mit flotten Sprüchen gegen Abtreibung

Mit einem Werbefeldzug mobilisiert das Sozialministerium im christlich-sozial regierten Baden-Württemberg gegen Abtreibung / Mit der Kampagne sollen alle ganz kinderfreundlich werden / Deshalb bleibt den Frauen, die abtreiben, auf ewig ein schlechtes Gewissen  ■  Von Barbara Czimmer

„Renate ist erst 14 Tage in S. Sie ist glücklich, einen guten Job in der Großstadt gefunden zu haben.“ Aber Renate ist ohne Partner und „ungewollt schwanger“. „Meine Freundin Bettina war die erste, die ich nach dem Schwangerschaftstest aufgesucht habe. Sie saß da, in ihrem hübschen Reihenhaus am Stadtrand, ihre zwei Kinder tobten im Garten und ihr Mann bastelte am Auto herum. 'Krieg das Kind‘, sagte sie immer wieder.“

So steht es in einer Broschüre des baden-württembergischen Sozialministeriums, die in Arztpraxen, Apotheken und Beratungsstellen ausliegt. Ein authentischer Fall. Oder? Mit derlei Geschichten, allesamt in Drei-Groschen-Qualität, möchte das baden-württembergische Sozialministerium gegen die, wie Sozialministerin Barbara Schäfer betont, „wahnsinnig hohen Abtreibungszahlen“ mobilisieren. 6.000 bis 8.000 sind es 1987 in Baden-Württemberg gewesen. Den „Lebensschützern“ innerhalb der regierenden christlich -sozialen Union war das zuviel. Auf dem Landesparteitag in Friedrichshafen 1987 zwangen die rechts außen angesiedelten CDUler und Wertkonservativen die Christdemokraten des Landes, eine Antiabtreibungskampagne durchzuführen, für die

-so die maßgebliche Forderung - mindestens so viel Geld ausgegeben werden sollte wie für die Aidsaufklärung.

Jetzt also läuft der Reklamefeldzug fürs Kind an. Tag für Tag flattert mit der Zeitung eine neue platte Geschichte ins Haus, Publikumszeitschriften haben ganzseitige Anzeigen, Jugendzeitschriften sind mit einer Beilage aus dem Sozialministerium bestückt. Doch selbst, wenn sich jemand ob dieser Penetranz von den Printmedien abwenden wollte, es nützt nichts: Zum Sommerbeginn soll großflächig plakatiert werden. „Vor sechs Monaten wollte er abhauen“, „Mein Selbstbewußtsein wächst mit meinem Bauch“, „Kind oder Schule? Oma hat mir die Wahl erspart“ und ähnliche Sentenzen schrieb nicht das Leben, sondern die mit der Kampagne beauftragte Werbeagentur Scherer-Team, München.

6,2 Millionen Mark investiert das Land in die Kampagne, mit der das Ministerium „das Bewußtsein schärfen will für die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens“, so Sozialministerin Barbara Schäfer. Eine PR -Aktion, die „Mut machen soll, neues Leben auch in schwieriger Lage eigenverantwortlich anzunehmen“, und die „an positiven Beispielen darlegen soll, wie Schwangerschaftskonflikte überwunden werden konnten und das Ja zum Kind möglich wurde“.

Die Oppositionsparteien SPD und Grüne haben ihre Unterstützung für diese Kampagne verweigert mit der Begründung, sie verschleiere lediglich fehlende politische Maßnahmen. Auch der Landesbezirk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die Beratungsstellen der ProFamilia und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lehnen die Aktion ab.

Aus der Luft gegriffen sind die Vorwürfe allesamt nicht. Seit Jahren ließ die Landesregierung den sozialen Wohnungsbau brach liegen, jetzt eskaliert die Wohnungsnot. In der Stuttgarter Notfallkartei, deren Aufnahmebedingungen in den letzten Jahren ohnehin enorm verschärft worden waren, will die Zahl der Wohnungssuchenden nicht unter die 4.000er -Marke fallen. Erst jetzt erklärte sich die Stadt bereit, in den nächsten zwei Jahren 1.080 Sozialwohnungen zu errichten.

Auch bei der Kinderbetreuung finden die Frauen wenig Unterstützung. Kindergärten, Krippen und Schülerhorte sind überbelegt. „Zu oft endet die Entscheidung fürs Kind für die Frauen in einer sozialen Sackgasse“, meint Inge Leffhalm, Frauenreferentin der Grünen in Baden-Württemberg, „denn nach wie vor wird - bedingt durch unflexible Arbeitszeitregelungen und festgefahrene Rollenverteilungen die Betreuung der Kinder auf die Frauen übertragen. Der Wiedereinstieg in den Beruf aber wird durch den Betreuungsnotstand zusätzlich erschwert.“ „Lebensschutz“

auch im Unterricht

Der baden-württembergische Kultusminister Gerhard Mayer -Vorfelder ist einer der heftigsten Mitstreiter der Pro-Kind -Kampagne. Er profiliert sich mit einer sogenannten Unterrichtshilfe, die von einer Arbeitsgruppe seines Ministeriums vorbereitet wurde. Eine Anfrage der GEW bezüglich der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe und den Inhalten der Unterrichtshilfe blieb seit Oktober 1988 unbeantwortet. Nach Darstellung des Sozialministeriums werden „ethische und rechtliche Aspekte des Lebensschutzes der Ungeborenen, insbesondere die biologisch-medizinischen Aspekte und hier wiederum die Entwicklung des Lebens vor der Geburt“ die Schwerpunkte bilden.

Dagegen ist per Erlaß des Kultusministeriums der Sexualkundeunterricht an den Schulen nur noch dann durchzuführen, wenn mindestens acht schriftliche Teilnahmeerklärungen von Eltern vorliegen. Daß aber eine gründliche Aufklärung allein schon eine Vielzahl von ungewollten Schwangerschaften verhindern würde, meint auch Dr. Suse Hönes, Ärztin der ProFamilia-Beratungsstelle in Stuttgart. „Wenn aber Frauen erst einmal in einer Schwangerschaftskonfliktlage sind, so kann sie nur eine Realität zum Austragen ihres Kindes anreizen, die für sie ganz subjektiv als eine zu bewältigende erscheint. Da wird keines der Bilder zum Auslöser der Pro-Kind-Entscheidung.“ Im übrigen suggeriere die ganze Kampagne den Frauen, die sich den Konflikten nicht gewachsen fühlten, Versagerinnen zu sein. Im Visier: die Beratungsstellen

Überhaupt scheint die „Werbekampagne für das Kind“ den Beratungsstellen einmal so richtig zeigen zu wollen, wie das Thema anzupacken ist. In allen im Rahmen der Kampagne veröffentlichten Texten findet sich die „neue“ alte Weisheit, daß die Betroffenen mit allen Bezugspersonen über „die Sache“ reden sollen. In den zwei einzigen Fallbeispielen, in denen ein Schwangerschaftsabbruch vorkommt, plagt die Betroffenen lebenslang das schlechte Gewissen. Ein Sorgentelefon des Sozialministeriums soll künftig in Konfliktfällen zur Verfügung stehen. Michael Jaschick, Pressesprecher des Sozialministeriums, verkündete denn auch freudig die ersten Erfolge: „In den ersten zehn Tagen gingen bereits 500 Anrufe ein. Für mich ist das eindeutig ein Zeichen dafür, daß die Beratungsstellen ihre Aufgaben nicht erfüllen.“

Soll der Druck auf ungewollt schwangere Frauen größer werden? Die §218-Praxis in Baden-Württemberg wurde ohnehin schon durch sogenannte Ausführungsbestimmungen verschärft. Seit 1985 sind die Beratungsstellen des Landes auf ein Beratungsziel festgeschrieben worden: sie sollen zum Austragen der Schwangerschaft motivieren. Andernfalls droht die Streichung der Gelder.

Das Land knausert ohnehin an Mitteln für die Beratungsstellen. „Seit 1985 kämpfen sich die MitarbeiterInnen durch eine Antragsflut der Stiftung 'Mutter und Kind'“, sagt Andrea Kahrens, Landesvorsitzende der ProFamilia-Beratungsstellen Baden-Württembergs. „Mietnachweise, Gehaltsbescheinigungen und ähnliches machen die BeraterInnen zu wahren SachbearbeiterInnen. Wir verwalten diejenigen, deren Entscheidung für das Kind längst gefallen ist, während unsere eigentliche Aufgabe in der Beratung der Konfliktfälle liegt.“ Die Personalmittel indes wurden letztmalig 1987 um 1.500 Mark pro MitarbeiterIn aufgestockt. Prominenz wirbt mit

Derweil sucht das Sozialministerium nach prominenten Zugpferden für die Initiative „Mit Kindern leben“. Denn um einen „Bewußtseinswandel“ herbeizuführen, muß, so Barbara Schäfer, „das Anliegen von allen gesellschaftlichen Kräften getragen werden“. Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel, Dieter Kronzucker und Eberhard Gienger bürgen inzwischen mit ihrem guten Namen. Die grüne Frauenreferentin Inge Leffhalm spricht sich vehement gegen diese zugkräftige Prominenz aus. „Statt derer sollten die eigentlichen Betroffenen zu Wort kommen.“ Deshalb hat der baden -württembergische Landesverband der Grünen beschlossen, im Lauf dieses Jahres Veranstaltungen durchzuführen, bei denen das Thema von und mit Betroffenen aufgegriffen werden kann. Des weiteren werden ab April nicht nur die Plakate des Sozialministeriums, sondern auch die der Grünen die Litfaßsäulen zieren. Einer der Plakattexte wird lauten: „Keine Frau treibt grundlos ab. Die Landesregierung plakatiert heile Welt. Den Frauen verpaßt sie Zwangsberatung. Wir Grünen fordern Selbstbestimmung. Und keinen §218.“