Kinkels Krisenstab

Mompers Initiative vorschnell erledigt  ■ G A S T K O M M E N T A R

Es ist Mode geworden, die Schuld am Scheitern einer guten Initiative nicht den Neinsagern, sondern dem Überbringer zuzuschreiben. Selten wurde eine Initiative husarenmäßiger vom Tisch gefegt als der Momper-Vorschlag der Einsetzung einer Vermittlungsinstanz im Hungerstreik der RAF -Gefangenen. Die Begründung ist interessant: Ein Störenfried sei er, ein Tolpatsch, der den eigentlich Kompetenten, den Experten im Justizministerium, so dumm in die Suppe spucke. Von Fernsehinterview zu Fernsehinterview wuchs im Munde von Herrn Caesar (FDP) geradezu das Ausmaß der Großartigkeit des Lösungskonzeptes der Justizminister. Kurz vor der Lösung stände Herr Kinkel, wochenlang habe er an einem Gespinst von vertrauenschaffenden Maßnahmen gewoben. Die Gespräche seien im schönsten Gange. Um ein kleines , so werde man schon sehen, sei alles im Griff, wenn es nur nicht gestört würde.

Ach, diese Methode ist uralt. Sie hält nur, solange die Beteiligten selbst Opfer ihrer eigenen Propaganda werden und sich in ihrer eigenen Nebelwand den Blick für die Realität verwirren lassen. Eine Winzigkeit bringt die schöne Schimäre zur Auflösung ins Nichts. Die Frage nämlich: Was hat Herr Kinkel eigentlich anzubieten? Was hat er zu überbringen, was Frau Süssmuth nicht hätte überbringen können? Die wirklich Hilflosen in diesem Konflikt saßen von Anfang an in den Justizministerien. Erst nahmen sie die Methode dieses Hungerstreiks nicht ernst. Wie Kinder, die im Wald pfeifen, setzten sie auf einen Zusammenbruch des Hungerstreiks durch Erschöpfung oder das Eingreifen einer Zauberhand. Damit verloren sie - trotz Warnungen - unwiderbringlich Zeit, kostbare unaufgeregte Zeit. Dann setzten sie auf die einheitliche Falange aller Ressortschefs. Wehe, wenn einer hier aus der Reihe tanzt! Schließlich erhoffen sie, ausgerechnet auf dem Eskalationspunkt den Zusammenbruch des Streiks durch die verzweifelte Aussicht auf totale Erfolglosigkeit und Hoffnungslosigkeit und den Einsatz einer Person, die dies dem Kopf der Gruppe überzeugend rüberbringt. In einer solchen Situation ein Brechen des Streiks zum Nulltarif zu erwarten ist imperatorisch, ist mit Verlaub - größenwahnsinnig.

Die Zeit des Krisenstabs ist nämlich vorbei. Gott sei Dank. Die Menschen haben es satt, Zuschauer bei einem Prozeß zu sein, wo sich welche zu Tode siegen. Betonlinie auf Betonlinie, das paßt zwar genau wie die Faust aufs Auge, aber krisenlösend ist es nicht. Mitglieder der Dialoginitiative, des Osterappells haben oft genug davor gewarnt, diesen Konflikt durch Bewegungslosigkeit zu eskalieren. Wir haben versucht, redliche Makler des Möglichen zu sein. Wir haben der RAF gesagt, daß wir eine Zusammenlegung in ein bis zwei Gruppen für nicht durchsetzbar halten. Wir haben dem Justizminister gesagt, daß es ohne eine Zusammenlegung in Gruppen von sechs bis zwölf Gefangenen, ohne eine Öffnung der Außenkontakte, ohne eine humane Besuchsregelung keine Bewegung geben kann. Wir sind damit nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Aber was heißt das? Mit dem Augenmaß für die wirklichen Kräfteverhältnisse, angesichts des Vergleichs mit dem internationalen Standard, selbst nach den Grundsätzen unseres Strafvollzugs wäre dieser Vorschlag jederzeit durchsetzbar gewesen.

Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, nun die Konzepte die das Justizministerium zu haben vorgibt, zu diskutieren. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, wo die Welt mit Geheimdiplomatie in Ordnung gehalten wurde. Warum ausgerechnet FDP-Politiker (der Bundesjustizminister, der rheinland-pfälzische Justizminister, die ganze FDP-Fraktion mit ihrer Verweigerung der bloßen Debatte zum Thema in der aktuellen Stunde des Bundestags) darauf setzen, erkläre mir, wer kann. Da gab es zur Zeit von Herrn Baum schon mal eine modernere Fom des Dialogs. Sich jetzt zum Mitspieler einer faktischen Informationssperre machen zu lassen, dazu ist unsere Öffentlichkeit zu aufgeklärt.

Es ist auch zutiefst vordemokratisch, nicht mit einem Widerspruch der Lösungsansätze innerhalb der Reihen der Justizminister und der Ministerpräsidenten zu rechnen und eine einheitliche Linie zu erzwingen, die es nicht gibt und jetzt auch nicht mehr geben darf. Die Zeit ist abgelaufen. Es wird keine friedliche Lösung ohne einen Streit der Länder und der Konzepte geben. Früher oder später wird man mit reellen Angeboten, die einen Ausweg eröffnen, und mit unabhängigen Vermittlern verhandeln müssen. Es macht mich krank, daß dieses „früher oder später“ heißen könnte: vor oder nach Toten.

Antje Vollmer