Wunschmobil, sprachzerfetzt

■ Von der Unfähigkeit, Wünsche und Utopien zu äußern / medea(west)theater spielt eigene Version von Braschs Stück „mercedes“ - heute nochmal im Lagerhaus Schildstraße

Wenn die Anzeige der Stockwerke über einem Fahrstuhl von minus 17 bis plus 304 reicht, muß das schon ein sehr großes Haus sein. Vielleicht ein Krankenhaus oder gar eine psychatrische Anstalt. Kein abwegiger Gedanke, wenn vor dem Lift ein halbnackter Mann mit einer Spielzeugente auf den Fußboden herumkriecht. Sein nach hinten offenes Krankenhemd hängt ihm lose um den Körper und gibt den Blick auf seine Proportionen frei. Ziemlich plötzlich kommt ihm der Drang nach sexueller Befriedigung, die er sich flugs auf der nahen Toilette selbsthändig verschafft.

Ein recht skurriler Beginn von Mercedes nach Thomas Brasch, den das medea(west)theater liefert. Aber es kommt noch heftiger. Dem Singen und Keuchen während der handwerklichen Verrichtung sind noch ganz andere Töne beigemischt. Weiblich und gequält hören sie sich an, vom Sterben ist sogar die Rede. Dann pulscht eine Menge Blut durch eine Türritze auf die Bühne und wenig später steht auch die Verursacherin vor der Lache. Oi (Diana Neumann) meets Sakko (Bernd

Hoffmann). Vorsichtig, abtastend und hypersensibel stehen sich die beiden Fremden gegenüber wie zwei unfreiwillige Clowns. Wenn auch der Austausch von Infantilitäten und Nonsensforderungen Kommunikation bedeutet, so hatten sich die beiden eine Menge mitzuteilen. Mittelpunkt ihres vermeintlichen Handelns ist zunächst die etwas ungeschickte Beseitigung der Blutlache. Erst von Sakko aufgeleckt, wird dem Übel im folgenden mit einem Feudel, mit Salz und zuletzt einer großen Anzahl Menstruationsbinden auf den Pelz gerückt. Doch die Eintracht fehlt, nicht einmal ein gemeinsames Ziel ist erkennbar. Ständig kabbeln sich die beiden, ja sogar Verletzungen sind die Folge ihrer Unfähigkeit, miteinander umzugehen. Soweit - so gut über das Unvermögen.

Doch warum Mercedes, bitteschön? Der Regisseur Armin Petras-Doepner hat Braschs Vorlage entkleidet. Sich lösend vom Utopiesymbol Auto verlegte er das Geschehen weg vom konkreten Wunschideal in das groteske Treiben der SchauspielerInnen.

Zu 0i und Sakko gesellt sich später noch ein Phantast (Ulrich Keller) in einem Kühlschrank, das er für ein U-Boot hält. Die Annäherungen und Abweisungen der Akteure spiegeln vor dem Hintergrund ihrer Traumwelten das Streben nach materiellem und auch ideellem Glück wider, da braucht es nicht unbedingt die Luxuskarosse.

Dem Ensemble nicht ganz unbekannt verließen einige Besucher zur Pause kommentarlos die Vorführung. Die Erwartungshaltungen mögen höchst unterschiedlich sein, vergessen werden sollte allerdings nicht, daß es sich beim medea(west)theater um eine freie Gruppe handelt. Die unverkennbare Spielfreude der AkteurInnen wurde hier und dort etwas gebremst, wo mehr Aktionsfluß und ein Schielen auf die Publikumsgunst durchaus kein Manko gewesen wäre. Doch Freunde des Theaters werden Braschs zerfetzte Sprache auch ohne Hieb mit dem Zaunpfahl mögen. Dafür sorgen schon die drei AkteurInnen.

Jürgen Francke

heute nochmal: 20.15, Lagerhaus