AUFRÜSTUNG AUS DEM ÄTHER

■ Friedrich Kittler brachte im Literaturhaus das Thema Hörspiel und Krieg an die Ohren

Heute abend gibt's im Literaturhaus mal wieder ein Hörspiel zu goutieren. Dabei hatte der Leibgermanist und Magenphilosoph einer ganzen Generation von ehemaligen Pink Floyd-Fans, Friedrich Kittler, doch dortselbst soeben (nämlich am Freitag) die ganze Gattung auf ihr kriegerisches weißes Rauschen gebracht, so daß es sich daran eigentlich schon längst ausdelektiert haben sollte. Hatte doch der mittlerweile auch endlich zu professoralen Ehren gelangte und nun mehr öffentlich-rechtliche Krieg-und-Medien-Forscher zu Gehör gebracht, daß Hörspiele ohnehin nur die Toten der technischen Kriege mit und um Funk hören (und nicht etwa das Akkordeon - Erinnerungen eines Instruments, wie heute abend behauptet wird). Der Titel von Kittlers Vortrag ließ derartiges schon ahnen: Playback - Eine Weltkriegsgeschichte des Hörspiels. Und: „Damit sind Unterhaltungsmedien nur die Mensch-Maschine-Schnittstellen (Interfaces) eines Systems, das von der Nachrichtentechnik bis zur digitalen Signalverarbeitung im Niemandsland arbeiten kann.“

Das alles kam so:

Erstens finden Hörspiele immer schon statt und zwar überall. Zweitens: Nietzsche hat das Wort „Hörspiel“ 1876 kreiert, weil drittens: Wagner das Hörspiel auf der Bühne gerade erfunden hatte und zwar in seinem Ring des Nibelungen, in dem er erstmals Schallereignisse dramatisiert hat, an dessen Ende reines weißes Rauschen (wie im Rundfunk) steht und Wotan schließlich zum Gerücht im Akustischen wird. Hier fielen dann zum ersten Mal vor jeder Informationstheorie Signale und Störungen, Botschaft und Rauschen zusammen: jenes Rauschen, das die Botschaft der neuen Medien ist, denn in jedem technischen Kanal rauscht es bekanntlich.

Nietzsche wiederum entdeckte nicht nur, daß sich in Wagner alles Sichtbare der Welt zum Hörbaren vertiefen wolle, sondern auch, daß „Schönheit ist, wenn die Macht gnädig wird und herab kommt ins Sichtbare“, was wiederum impliziert, daß die Macht eigentlich unsichtbar ist und ihre Herkunft geheim ist, zumal wenn die Macht sich nicht mehr nur der Schrift verschreibt, sondern den Medien sich verbindet. Die Medien ihrerseits sind von vornherein nicht nur in der Lage, Sichtbares und Hörbares zu manipulieren, indem sie die Wahrnehmungsschwellen unterlaufen, sie schaffen auch jenes Führungsvakuum ab, das in Zeiten von Buch und Zeitung zu beklagen gewesen sei: im selben Maß, in dem Herrschaft unsichtbar nur noch hörbar ist, ist sie absolut. Soviel und noch vielmehr sagte Kittler zu Wagner.

„Unser Jahrhundert ist die Serienfertigung von Alberichs Tarnhelmen.“ Und hier kommen wir schon zu den Grundsätzen der Hörspieltheorie: 1) Es gibt Nachrichtentechniken ohne Hörspiel, aber kein Hörspiel ohne Nichrichtentechnik. 2) Kein Hörspiel kann seine eigenen Möglichkeitsbedingungen senden. 3) Hörspiele müssen in ihrer ganzen Bandbreite betrachtet werden.

Und während die Schriftsteller von Brecht bis Heißenbüttel („Was sollen wir überhaupt senden?“) über den möglichen Inhalt von Hörspielen noch rätselten, wußten die Strategen, daß die Siege in Zukunft nur denen zufallen, die das elektromagnetische Spektrum kontrollieren.

Auch Carl Schmitt erkannte im späten, stimmhörenden Delirium: „Nach dem Ersten Weltkrieg habe ich gesagt: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Nach dem Zweiten Weltrieg, angesichts meines Todes, sage ich jetzt: Souverän ist, wer über die Wellen des Raumes verfügt.“ Graf Schlieffen, Schöpfer der deutschen Nachrichtentruppe, hatte eine ähnliche Vorstellung schon 1909: Er sagte den telefonierenden und funkenden „unsichtbaren Feldherrn“ voraus.

In unserem Jahrhundert werden Nachrichtentechniken als Kriegstechniken entwickelt. Die größte Gefahr, die dann droht, ist die Interzeption, die Unterbrechung, die in der Abhörschlacht selbst zum Signal wird. Gleichzeitig wurde im Ersten Weltkrieg „unter Mißbrauch von Heeresgerät“ zum ersten Mal Unterhaltung in die Schützengräben gesendet.

Die Gattung Hörspiel freilich wird erst 1924 gegründet, in der von Nachrichtenoffizieren gegründeten BBC, mit der Comedy of Danger: The lights have gone out über eine Katastrophe im Bergwerk, in der die Zuhörer mit Blindheit geschlagen werden: Hörspiel nach dem Ersten Weltkrieg hieß, die Todesgefahren zu wiederholen - als Komödie, als Playback, als Simulation für ein Publikum von ehemaligen Heeresfunkern.

Schon in der Weimarer Republik waren die Vollmachten des Wechselsprechfunks fernmeldegesetzlich dem Staat vorbehalten, was Brecht zu der Forderung brachte, den Rundfunk von einem Distributions- in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln, und in seinem Hörspielexperiment Lindberghs Ozeanflug derartiges gleich auszuprobieren. Was Brecht vergessen habe, meint Kittler, hätte Friedrich Wolf 1929 in seinem Hörspiel über einen gescheiterten Polarflug von 1928 erkannt: daß Fliegen unter hochtechnischen Bedingungen Fernsteuerung ist. Konsequent verläßt Wolf in seinem Hörspiel dann auch die Alltagssprache zugunsten des Morsekodes - Funkverkehr am Rande des Todes. Oder, wie Wilhelm Hoffmann 1933 schrieb: „Ein primäres funkisches Thema ist der Tod.“ Kittler: „In der Zwischenkriegszeit kommen die vergessenen Heeresfunker als Gespenster zurück.“ Deutlich wird diese These auch an dem Hörspiel Duomont von Wolfgang Möller, in dem eine Leiche aus dem Schützengraben von 1916 nach Hause kommt, um den Daheimgebliebenen die Greuel des Krieges wieder vor Ohren zu führen. Umgekehrt wurde schließlich Orson Welles berühmtes Funkverkehrs-Invasions-Hörspiel von 1938, in dem die Außerirdischen vor sechs Millionen Zuhörern am Radio das Kommunikationssystem zerstören, von der US Navy als Modell einer Realmobilmachung benutzt.

Epilog folgt über die Nachkriegszeit: Mittlerweile haben es die Radios geschafft, Information überhaupt zu vermeiden und damit auch Interzeption, und die militärischen Funkstellen senden grundsätzlich rund um die Uhr, egal ob etwas zu sagen ist oder doch eher nicht.

In diesem Sinne empfehlen wir also heute abend um 20 Uhr im Literaturhaus: Akkordeon - Erinnerungen eines Instruments. Ein Hörspiel von Joy Markert.

Gabriele Riedle