BAU DIR EIN HAUS AUS DEN KNOCHEN VON SCHILLER

■ Kunst im Bau: Die Villa Schilla in der Schillerstraße acht Jahre nach der Besetzung

In der Charlottenburger Schillerstraße steht Schillers letztes Haus. Was macht ein republikflüchtiger, in Jena verbeamteter Staatsklassiker, wenn er westwärts zieht und als mittelloser Lyriker mit nichts als seinem Köfferchen in der Hand im Westteil der Stadt ankommt? Er zieht, wir schreiben das Jahr 1981, in ein besetztes Haus, das gerade von der Abbruchfirma Mokri und Losch demoliert wird. Frustriert von der Kunstbürokratie, erhofft er sich im Westen ein Experimentierfeld für seinen ansatzweise weiter gefaßten Kunstbegriff („Die Kunst ins Leben gießen“). Eben flogen noch Türen, Fenster und Fußbodendielen in den Hof, da verließen die mit Alk in der nahen Kneipe „Schiller-Glocke“ vom Truppführer scharf gemachten Abrißchargen urplötzlich das Haus. Leichenschmaus

Die fluchtartige Beendigung der Abrißarbeit bescherte den Besetzern nicht nur das Haus, sondern auch diverses Abrißgerät: Zurück am Tatort blieben Spitzhacken, Motorsägen, Preßlufthammer und Frühstücksbrote. Was war geschehen? In Berlins heißer Hausbesetzerphase (über 120 Häuser waren zu diesser Zeit besetzt) ereignete sich ein absolutes Novum: Die Kunst hatte ein Haus besetzt. Auf den sofort ausgehängten Fassadentransparenten machten die Besetzer klar, worum es ihnen ging: „Instandbesetzung ist eine Kunst, nämlich die Kunst am Bau, den Bau zu erhalten.“ Das Haus war voll. Zusammen mit den Altmietern machte man sich daran, die kurz zuvor erst demolierten Räume für den kommenden Winter notdürftig bewohnbar zu machen. Unter dem Motto „Kunst wo gelebt wird“ und „Lieber ein volles Haus als eine leere Baugrube“ lockten die Künstler mit Ausstellungen, Konzerten, Lesungen, Filmvorführungen und Performances bald Tausende von Menschen an. Scharen von Medienmenschen drängelten sich tagelang im Sterbezimmer eines während der Entmietung verstorbenen Altmieters. Selbst eine angebissene Tafel Schokolade auf dem Nachttisch des Verstorbenen avancierte bei den Medien-Freaks zum Kultobjekt und erfreute sich gleich hundertfacher Ablichtung. Aus den Bussen stiegen die Touris, um den Besetzer-Künstlern in den demolierten Küchen in die Kochtöpfe zu schauen. Ein Lehrer aus München dozierte, während die Besetzer einen großen Topf Linsensuppe auf dem Feuer hatten, vor seiner Klasse den Zusammenhang zwischen Kunst und Kochen am praktischen Beispiel, während der Treppenhausbesetzer Dr.Sud auf dem strategisch wichtigen zweiten Podest vor den Originalgraphiken von Josef Beuys Wache schob. Beuys von unten

Nicht ohne Grund: Beuys hatte den Künstler-Hausbesetzern zehn Graphiken („Für die Hausbesetzer“) überlassen, deren Wert unter Kunstfreunden auf einige zehntausend Mark beziffert wird. Das blieb nicht ohne Neider. Der Hauseigentümer, niemand Geringeres als der stadtbekannte Bauhai, Kunstsammler und Unterwanderer der FDP Dr. Erich Marx, zeigte zur gleichen Zeit seine gesammelten Schätze, die „Sammlung Marx“, in der Nationalgalerie, eine nach Investmentgesichtspunkten aufgebaute Sammlung von Hauptwerken der ersten vier der Weltrangliste des Kunsthandels: Josef Beuys, Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Cy Twombly. Was Marx aber nicht bieten konnte: Die Kunst war lebendig geworden - mit Beuys auf dem Treppenhaus des besetzten Hauses in der Schillerstraße. Bis der Bauhai Marx allerdings die Zusage für die Nationalgalerie bekam, versuchte er sich mit der Kunst, die er millionenschwer einkaufte, den Geruch des Bauspekulanten vom Körper zu duschen: Die Kunst als Luxusseife. Transpirationsrückstände

Denn Marx wollte auch besetzen - und zwar den Martin-Gropius -Bau. Dort wollte er der Berliner Öffentlichkeit seine Sammlung ( Versicherungswert 1981: 17 Millionen) präsentieren. Auf dem Weg dahin mußte er erst mal mit der Nationalgalerie vorliebnehmen. Ziel dieses Coups war es, durch Ausstellung in der Nationalgalerie seine Sammlung dem Berliner Steuersäckel gesellschaftsfähig zu machen, um sie dann hochsubventioniert als ständige „Sammlung Marx“ im Martin-Gropius-Bau zu verewigen; das allerdings auch bei gleichzeitigem Rausdrängen der Berlinischen Galerie und der Staatlichen Kunsthalle. Das Manöver scheiterte. Zu dieser Quelle einer dauerhaften Reputation und erheblicher Profite gelangte der Spekulant trotz der von ihm heftig gesponserten CDU-Wahl dennoch nicht. Einer der Stolpersteine auf dem Weg zum Sammler-Parnaß war für Marx die Villa-Schilla: eine soziale Plastik. Kunst im Bau

Betritt man heute das blaue Haus in der Schillerstraße, spürt auch der Laie sofort, was die Kunst-Besetzer der Villa Schilla damals mit „Kunst-Besetzung“ gemeint haben: den Lebensprozeß, ein Haus zu sanieren und es zugleich in einen Kunst- und Lebensraum zu verwandeln. Ein Beispiel für einen offensiven und sich dauernd wandelnden Kunstraum ist das Treppenhaus und sein aus Altmaterialien zusammengebautes Treppengeländer. Der durch das Haus steigende Besucher kann von Podest zu Podest die gegenseitige Umsetzung von Lebensraum und Kunstraum nachvollziehen. Es handelt sich endlich einmal nicht um Kunst am Bau, sondern um Kunst aus dem Bauen heraus, die nicht auf leere Brandwände draufgesetzt ist, sondern als Bestandteil des brandaktuellen Lebenszusammenhanges Haus gewachsen ist. Es stellte sich für die Bewohner heraus, daß Selbsthilfe die eigentliche Lebensform gerade auch für Künstler ist. Allerdings wird von den Bewohnern nicht verkannt, daß die „Lage des Haustieres die Lage des Schlachttieres nach sich zieht“. Senatorenzukunft

Außer einer Nutzungsgenehmigung hatten die Selbsthilfe -Künstler keinerlei Sicherheit auf die soziale Plastik Villa -Schilla. Erst 1986 fand sich der Senat bereit, mit den Hausbewohnern einen Sanierungsvertrag abzuschließen. Der letzte Nagel im Gebäude aber hat noch keinen Kopf: nämlich die Absicherung des Lebens- und Arbeitsraumes für dieses soziale und künstlerische Experiment. Ein Modell für die Absicherung des Projektes wäre sicherlich ein Erbpachtvertrag mit dem Senat. Eine Bewohnerin schlägt vor, „daß der neue Senator Nagel nun den letzten Nagel in Form eines solchen Vertrages ins Treppenhausgebälk einschlägt“. Denn sonst, so drohen die BewohnerInnen, „muß Herr Nagel mit einem ernstgemeinten Besuch von uns rechnen. Wir scheuen auch nicht davor zurück, aus seinem Schreibtisch eine kleine, künstlerisch gestaltete Filiale der Sozialen Plastik Villa Schilla zu machen“.

me-ti