Der Hauptfeind ist der Athlet

■ Grabenkämpfe im Deutschen Karate-Verband (DKV) vor der Meisterschaft (6.-8.April) in Homburg (Saar)

Berlin (taz) - Gichin Funakoshi gilt als der Begründer des modernen Karate. Der Japaner, der 1957 als 88jähriger verstarb, betrieb seinen Sport bis ans Lebensende und sprach immer wieder vom „Karate-do“. Karaleer, teHand, doWeg. Do bedeutet für ihn Lebensweg, Philosophie. Funakoshi lehrte seine Schüler Toleranz und Bescheidenheit. „Es ist wichtiger, sich selbst zu besiegen, als seinen Gegner“, wurde zum Leitsatz.

Nach dem Tode Funakoshis gingen seine Schüler eigene Wege, es wurden verschiedene „Stilrichtungen“ kreiert (die vor allem in Europa als Wettbewerb zwischen dem „richtigen“ und dem „falschen“ Karate interpretiert wurden), und mit ihnen verschiedene Verbandsorganisationen. Durch die Versportlichung des Karate und dessen schnelle Verbreitung besann man sich, die Vielzahl der Einzelverbände wieder unter einen Hut zu bekommen. Die Splitterverbände in Deutschland wurden im Deutschen Karate Verband (DKV) vereint.

Während die SportlerInnen selbst den Zusammenschluß praktizierten, lange bevor die offiziellen Verhandlungen abgeschlossen waren, kämpften die Funktionäre der Einzelorganisationen darum, daß ihre Positionen - die Positionen des „richtigen Karate“ - im neuen Dachverband angemessen vertreten würden. Der Kampf dauert bis heute an, und als Austragungsort muß der Rücken der AthletInnen herhalten.

Ewiggestrige, die sich im Rückwärtsdenken profilieren wollen, hängen veralteten, teils auch falsch verstandenen Vorstellungen und überholten Trainingsmethoden nach, wollen japanischer sein als die Japaner, traditioneller als die Tradition. Versteiftes, geradliniges Karate ist für sie das Nonplusultra. Flexible und schnelle Bewegungen werden als „Hupferei“ abqualifiziert.

Während die Funktionäre vor den Kulissen über die philosophischen Grundlagen des Karate faseln und sogar Funakoshi zitieren, treiben sie hinter dem Vorhang Hetzjagden gegen Karateka, die eigene Wege gehen wollen, die nach sportlichem Erfolg streben und entsprechend trainieren.

Wer heute bundesdeutsche Spitzenkarateka interviewen will, muß auf Enttäuschungen gefaßt sein: Immer mehr lehnen ab, verweigern jede Aussage, nachdem sie von DKV-Funktionären damit bedroht worden sind, aus der Nationalmannschaft entfernt zu werden. DKV-Präsident Karl-Peter Ludwig, offensichtlich einziger Spitzenfunktionär, zu dem die Aktiven hundertprozentiges Vertrauen haben, kennt die Vorwürfe, und er weiß auch, in welchen Kreisen die „Übeltäter“ zu finden sind. Er kennt die machthungrigen Funktionäre, die weniger durch Qualifikation auffallen als durch Ämterhäufung.

In einzelnen Landesverbänden erzählen die SportlerInnen, daß gegen diejenigen gehetzt wird, die sich nicht an den (relativ erfolglosen) Japanern orientieren, sondern an Engländern und Franzosen, die die internationale Szene beherrschen. Bei ihnen wird „heimlich“ trainiert.

Es gibt Funktionäre, die den zur Zeit in der Bundesrepublik ansässigen mehrfachen britischen Weltmeister Pat McKay unverhüllt als „Bazillus“ bezeichnen - weil er nicht die richtige Einstellung hat. Gichin Funakoshi würde sich im Grabe wälzen.

Thomas Schreyer