USA: Mit Todesdrohungen gegen Abtreibung operiert

Im Vorfeld der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über das Recht auf Abtreibung greifen die selbsternannten LebensschützerInnen noch einmal in die vollen / Am Wochenende wollen Feministinnen auf Washington marschieren  ■  Aus Atlanta Monika Bäuerlein

Ein Dutzend AbtreibungsgegnerInnen krabbelt übers Pflaster. Unter den Absperrgittern durch, vorbei an Polizistenbeinen, auf den Klinikeingang zu. Einer greift nach dem Bein der schwangeren Frau in der Mitte: „Bring dein Baby nicht um! Bitte, bitte, bring dein Baby nicht um!“ Videokameras zielen auf die 20jährige, sie schlägt beide Hände vors Gesicht, zwei BegleiterInnen fassen sie um die Schulter, drängen sie zum Eingang.

Szenen wie diese, vergangene Woche in Atlanta, wiederholen sich seit dem Sommer '88 quer durch die Vereinigten Staaten. Von Los Angeles bis New York hat sich der Kampf zwischen AbtreibungsgegnerInnen und -befürworterInnen in nie zuvor dagewesener Weise aufgeheizt. In Los Angeles blockierten über Ostern Tausende „Pro-Lifers“ Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden; ähnliche Aktionen werden am kommenden Wochenende von Florida bis Illinois erwartet. Auf der Gegenseite wollen Zehntausende von Frauen am 9.April in einem „Marsch auf Washington“ demonstrieren.

Seitdem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten 1976 die Abtreibung zum verfassungsmäßig garantierten Recht erklärte, wurden etwa 16 Millionen Schwangerschaften abgebrochen. Kliniken und feministische Selbsthilfezentren führen die Eingriffe für 250 bis 400 Dollar durch; ein Drittel aller Schwangerschaften endet durch freiwilligen Abbruch. Ihre BefürworterInnen verteidigen die legale Abtreibung als grundlegendes Selbstbestimmungsrecht der Frau. Konservative sind von Anfang an gegen dieses Recht Sturm gelaufen. Unter Reagan gewannen sie an Schwung, und im letzten Wahlkampf trugen christliche FundamentalistInnen Bilder von blutigen Föten in die Wahlversammlungen.

Inzwischen ist es selbst für manche DemokratInnen schwierig geworden, offen das Recht auf Abtreibung zu verteidigen. Im Kampf gegen den „grausamen Babymord“ schrecken manche AbtreibungsgegnerInnen vor gewalttätigen Aktionen nicht zurück; sie haben Kliniken niedergebrannt und Todesdrohungen an ÄrztInnen verschickt; durch großangelegten zivilen Ungehorsam katapultierten sie sich in den Sommermonaten in die Schlagzeilen. In Atlanta blockierte die „Operation Rescue“ Kliniken; verhaftete DemonstrantInnen gaben als ihre Namen „Baby John/Jane Doe“ an. Die namenlosen „Babys“ füllten bald die ohnehin chronisch überbelegten Gefängnisse. Über die Fernsehschirme strahlten die selbsternannten Lebensschützer das Image verfolgter Unschuld aus.

Die Hausfrauen, FarmerInnen, BuchhalterInnen und StudentInnen, die sich - wie sie es nennen - „zwischen Mörder und Opfer“ stellen, waren vor der Kampagne zumeist nicht politisch aktiv. In ihren „I Love Sweet Jesus„-T -Shirts lassen sie sich von der Polizei wegtragen; auf dem Weg zur Wache singen sie vom „Engel in Not“.

Für Michael Hirsh, den 29 Jahre alten Direktor der „Operation Rescue“ in Atlanta, sind AbtreibungsbefürworterInnen einfach SöldnerInnen Satans. Wirklich überzeugt spricht er von Menschenopfern, die diese Gottlosen mit Embryos veranstaltet hätten, und erinnert sich an die Eindrücke bei einem Besuch des KZs Dachau: „Im Prinzip waren die Nazimorde nichts anderes als das, was hier passiert. Nur war es in Deutschland echt gefährlich, was dagegen zu tun; hier riskieren wir bloß ein paar Tage Gefängnis. Wir haben die Pflicht, uns zu wehren.“

Im Grund geht es Michael Hirsh und seinen MitstreiterInnen nicht um eine Gesetzesänderung, sondern um eine „Umkehr der Herzen“, eine Rückkehr der Gesellschaft zu guten christlichen Werten. Und genau das ist es, was sie der anderen Seite so unheimlich macht.

„Diesen Leuten geht es nicht um Abtreibung, es geht ihnen um Macht über Frauen und über uns alle. Sie wollen unser Leben umkrempeln“, erklärt Lynne Randall, Direktorin eines Frauenselbsthilfezentrums in Atlanta. Ein Abtreibungsverbot, sagt sie, würde Millionen von Frauen zurück zur illegalen Abtreibung in Kellerlöchern mit Kleiderbügeln treiben; verhindern würde es nicht einen einzigen Abbruch. Laut Umfragen entscheiden sich US-amerikanische Frauen meistens für eine Abtreibung, weil sie sich „ein Kind jetzt nicht leisten können„; das um so mehr, je weiter die Löhne sinken und Frauen entweder alleine erziehen oder Familien auf zwei VerdienerInnen angewiesen sind.

Bislang sind die AbtreibungsbefürworterInnen noch nicht lautstark aufgetreten; sie stellen laut Umfragen ohnehin die schweigende Mehrheit. Zwischen 58 und 79 Prozent der amerikanischen Bevölkerung wollen zwar keine Gesetzesänderung, doch die GegnerInnen haben politisch bedeutend mehr Einfluß. Reagan selbst traf sich mit militanten AbtreibungsgegnerInnen im Weißen Haus und wurde nicht müde, für ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs zu plädieren. Jetzt scheint es, als könnte der Oberste Gerichtshof - mit der von Reagan bestallten konservativen Mehrheit - sein Urteil von 1976 umstoßen und die Entscheidung über das Recht auf Abtreibung an die Bundesstaaten zurückgeben, möglicherweise schon Ende April. Dann würde in den konservativen Staaten der Schwangerschaftsabbruch illegal sein. Die AbtreibungsbefürworterInnen machen deshalb jetzt mobil mit Werbekampagnen („Was hielten Sie davon, wenn das FBI Ihre Fehlgeburt überprüfen käme?“) in Zeitungen und Fernsehen. Doch auf der politischen Bühne ist es möglicherweise schon zu spät.