„Als Autonome im Sauerland etabliert“

Sauerländische Autonome engagieren sich für Forderungen der hungerstreikenden Gefangenen / Besetzung des Grünen-Büros in Altena mit üblen Folgen / „Nachdenken über die RAF“, ohne deren Politik genau zu kennen  ■  Von Petra Bornhöft

Altena (taz) - Um es gleich klarzustellen, die Lage hat sich verändert: Vor einem Jahr ernteten sauerländische Autonome ein Schmunzeln, wenn sie sich irgendwo vorstellten. „Heute wissen sie schon, wer du bist, wenn du sagst, wir kommen aus dem Sauerland“, eröffnet der arbeitslose Peter (20) das Gespräch und fügt lachend hinzu, „wir haben uns etabliert, als Autonome natürlich“. Dazu beigetragen haben Aktionen im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der RAF-Gefangenen.

Nicht ohne Stolz erwähnen sie die Besetzung des Grünen -Büros in Altena, den „autonomen Block beim Ostermarsch in Hemer mit autonomem Redebeitrag und anschließender Veranstaltung zum Hungerstreik. Viel mehr als bei uns läuft in den großen Städten auch nicht“, darauf besteht der 25jährige Gärtner Dieter - auch wenn andere der sieben GesprächsteilnehmerInnen protestieren.

Seit eineinhalb Jahren treffen sich die Freunde, „diskutieren und machen eben, was so anliegt und möglich ist“. Das erste große Thema war der Internationale Währungsfonds, „danach waren 129a und Ingrid Strobl angesagt, jetzt eben die Haftbedingungen und der Hungerstreik“. Für ihre politische Arbeit stellt sich ein grundlegendes Problem. „Es ist so 'ne Sache, im Sauerland autonome Positionen zu vertreten“, faßt Che, 24 Jahre und von Beruf Stukkateur, leidvolle Erfahrungen zusammen. „Hier ist es schwieriger als in den Metropolen, immer so ganz radikal zu argumentieren. Verstehste, das Ding mit der Vermittlungsfähigkeit von autonomer Politik ist nicht so einfach.“ Erschwerend kommt hinzu: „Wir sind sehr wenige und wohnen weit auseinander“, ergänzt die Kinderpflegerin Angela (20).

In Altena etwa, der „Burg- und Bergstadt“ mit 23.000 Einwohnern an der Bahnlinie zwischen Hagen und Frankfurt, „wohnt keiner, der in unsere Richtung denkt“, klagt Peter. Daran hat sich nichts geändert durch die Besetzung des Grünen-Büros Anfang März, mit der „man rein humanistische Forderungen für den Strafvollzug (habe) durchsetzen wollen“, wie das 'Altenaer Kreisblatt‘ zwei Beteiligte zitiert. Die Aktion sorgte für erheblichen Gesprächsstoff in der „Forellenboutique“ und im „Porreestudio“ an der Fußgängerzone.

Das grüne Ratsmitglied Almut Kückelhaus (33) erinnert sich: „Ich las meinem Ratskollegen gerade die Haushaltsrede vor, da schellte es. Die drei Männer kamen rein und ließen uns erstmal den Tagesordnungspunkt beenden.“ Danach verlangten die Gäste eine „klare Stellungnahme“ der Grünen zum Hungerstreik - und richteten sich mit Schlafsack, Kaffeetassen und Bier häuslich ein in dem zwölf Quadratmeter kleinen Büro, wo weder Telefon, Schreibmaschine oder Kopierer vorhanden sind. Zunächst versprachen die Grünen Unterstützung für eine Pressekonferenz am nächsten Tag, wollten Essen bringen und schickten irgendwann „als Vermittler einen großen Willi aus der Friedensbewegung“ vorbei, so berichten die Autonomen. Aber einigen Grünen wurde mulmig. Nach eigenen Angaben ratlos, gingen sie zur Polizei - und händigten den Beamten den Büroschlüssel aus. „Das war der Sündenfall“, räumt die Politikerin Almut Kückelhaus ein. Denn nachts rissen Mitglieder des 14.Kommissariats die Besetzer aus dem Schlaf, nahmen sie und später eine Besucherin fest. Ein Riesenpolizeiaufgebot, drei Hausdurchsuchungen und wenig später die Nachricht, die Bundesanwaltschaft ermittle wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a) - diese Folgen ihres Verhaltens überstiegen (angeblich) jede Vorstellungskraft der zwischen 450 Meter hohen Bergen lebenden Altenaer Grünen. Gleichwohl versichert Almut Kückelhaus, eine „Tolerierung der Besetzer hätte unsere ganze Arbeit der letzten Jahre, die Kommunalpolitik kaputtgemacht“.

Ohne die Besetzung hätte sich der Ortsverband nie mit dem Hungerstreik beschäftigt. Mittlerweile ist das Thema „ein rotes Tuch“ für den von der Partei gerüffelten Verein. Etliche Stunden für Diskussionen und offizielle Erklärungen zwackten sie von ihrem Zeitbudget ab. Die am Wochenende geopferte „vierwöchentliche kostbare Fraktionskolumne“ in einer Lokalzeitung, die sich um eine klare Position zur Forderung nach Zusammenlegung der RAF-Gefangenen herummogelt, „soll von unserer Seite eigentlich das abschließende Wort sein“, erklärt die Fraktions- und Parteisprecherin.

Daß die Grünen überhaupt das Thema diskutierten und die Lokalzeitungen mehrmals berichteten, verbuchen Sauerländer Autonome als Erfolg. Andererseits sei das Ergebnis „ziemlich beschissen“. Die Ermittlungsverfahren hätten viele eingeschüchtert. Den einzigen Treffpunkt für das gesamte Sauerland, ein Jugendzentrum, haben sie verloren. Verhandlungen mit anderen Grünen über Büroräume blieben ergebnislos, aber die Jugendlichen haben nach dem Besuch mehrerer Parteiversammlungen ohnehin „keinen Bock mehr, mit denen noch zu reden“.

So düsen sie derzeit durch die halbe Republik und nehmen an möglichst vielen Hungerstreik-Veranstaltungen und -Demonstrationen teil, „um Kontakte zu kriegen“, und auch „weil hier in der Provinz nicht viel los ist“. Abgesehen von dem seit zwei Wochen regelmäßigen Sonntagsspaziergang zum Justizkrankenhaus Fröndenberg, in dem die RAF-Gefangene Christa Eckes liegt.

Bei der Frage nach der Beurteilung der RAF zögern die meisten mit einer Antwort. Der 20jährige Peter hat erstmals während des Hungerstreiks 1984/85 etwas von der Gruppe „bewußt mitgekriegt“. Dieter (25) erwartet sich von einer vielleicht nach der Zusammenlegung möglichen Auseinandersetzung, daß die RAF „sich herbe Kritik an ihren Aktionen gefallen läßt. Man müßte darüber reden, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt, den Widerstand zu organisieren. Ein Zwischending zwischen Information und vermittelbarer Aktion find‘ ich sinnvoll. Einige Aktionen können natürlich auch militant sein.“ Daß darüber und über andere „inhaltliche Fragen“ zum Beispiel auf der Hungerstreik -Veranstaltung in Dortmund nicht geredet wurde, kritisieren die SauerländerInnen heftig. Anders bei ihrer Veranstaltung in Iserlohn nach dem Ostermarsch. „Da haben wir Monika Berberich gefragt, wie das so war damals und was sie heute davon hält.“ In Dortmund dagegen stellte keiner der 400 TeilnehmerInnen eine entsprechende Frage.

Bei dieser Veranstaltung und dem zwölfköpfigen Hungerstreikplenum am folgenden Tag dominierte der gleiche Eindruck wie beim Hungerstreikplenum in Bielefeld vergangene Woche: Die aktiven UnterstützerInnen in den Städten stecken bis zu den Ohren in Organisationsarbeit für Aktionen und Aktiönchen. Eine politische Auseinandersetzung findet kaum statt. Wie es weitergehen soll? Wohl nicht nur im Sauerland ist das unklar. Nur eines scheint gewiß: „Wenn jemand von denen stirbt, sind bestimmt nicht mehr nur Flugblattaktionen die Antwort.“