Kiel kritisiert Momper-Initiative

Engholm-Sprecher sieht durch Mompers Vermittlungsvorschlag im Hungerstreik Fronten verhärtet / SPD-Abgeordneter Conradi fordert Zusammenlegung / Verfassungsschutz will vier Gruppen mit je sieben Gefangenen  ■  Von Rosenkranz/von Appen

Berlin (taz) - Die SPD-regierten Ländern sind uneins über ihr künftige Vorgehen im Konflikt um den Hungerstreik der RAF-Gefangenen. Während Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper es als Teilerfolg anrechnet, mit seiner Vermittlungsinitiative „Bewegung in die Angelegenheit gebracht“ zu haben, sieht das der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm offenbar ganz anders.

In einem Gespräch mit der taz äußerte Engholms Sprecher Herbert Wessels kaum verhohlene Kritik an dem in der vergangenen Woche gescheiterten Versuch Mompers, Rita Süssmuth und Jürgen Schmude als Vermittler einzuschalten. Der Hungerstreik sei dadurch Gegenstand der parteipolitischen Auseinandersetzung geworden. Im Ergebnis hätten sich die „Fronten verhärtet“, sagte Wessels. Dem Bonner Justizstaatssekretär Klaus Kinkel, der am 28. März als Unterhändler die Gefangene Brigitte Mohnhaupt besucht hatte, sei damit „das Geschäft nicht erleichtert“ worden. In Kiel sehe man auch jetzt „keinen Grund, in dieser Sache voranzugehen“. Jeder öffentlich vorgetragene SPD-Vorschlag werde auch in Zukunft die parteipolitische Auseinandersetzung nur verschärfen.

Wessels widersprach auch der Ansicht Mompers, man dürfe mit dem Hungerstreik nicht „im Stile der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts“ umgehen. Zwar müsse beschleunigt nach Lösungen gesucht werden. Das solle aber „nicht unter den Augen der Öffentlichkeit“ stattfinden.

Unterdessen wiederholte der Stuttgarter SPD -Bundestagsabgeordnete Peter Conradi seine Forderung, man müsse den „RAF-Strafgefangenen“ aus humanitären Gründen „die Zusammenlegung in Fortsetzung Seite 2

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größeren Gruppen gewähren“, wenn der Normalvollzug aus Sicherheitsgründen nicht in Frage komme. „Jahrelange Haft allein, zu zweit oder zu dritt, ist eine unmenschliche Strafverschärfung“, erklärte Conradi. Der Abgeordnete bedauerte insbesondere die „starre Haltung und Uneinsichtigkeit“ der Landesregierungen in Baden-Würt

temberg und Bayern und von Generalbundesanwalt Kurt Rebmann.

Conradi verwies in diesem Zusammenhang auf ein in der Frankfurter Rundschau im Wortlaut veröffentlichtes Papier des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz. Darin hatte die Boeden-Behörde bereits Ende Februar „Teilzugeständnisse“ - unter anderem die „Zusammenlegung in kleinere, nach sozialpsychologischen Kriterien zusammengestellte Gruppen“ empfohlen. Zwar sei die RAF weiter zu Morden und Anschlägen in der Lage, meinen die Verfassungsschützer, ihre „politische Gefährlichkeit“ dürfe aber nicht überschätzt werden. Die der RAF verbliebene Kraft ziehe sie „zu einem großen Teil aus dem Mythos ihrer inhaftierten Gesinnungsgenossen und deren besonderen Haftbedingungen“.

Konkret schlägt das Kölner Amt die Bildung von vier Gruppen mit im

Schnitt etwa sieben Inhaftierten und die Entlassung der kranken Gefangenen Bernd Rössner und Günter Sonnenberg vor. Die im Hungerstreik ebenfalls geforderte Freilassung von Angelika Goder und Claudia Wannersdorfer lasse sich dagegen aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht rechtfertigen.

Das seit über einem Monat vorliegende Verfassungsschutz -Papier (siehe Dokumentation in der morgigen Ausgabe) ist bei den Justizministern der Länder und des Bundes bis heute auf taube Ohren gestoßen. Dabei hatten die Verfassungsschützer es als „besonders wichtig“ bezeichnet, frühzeitig auf den Hungerstreik zu reagieren, „um eine Eskalation mit ihren Begleiterscheinungen ebenso zu vermeiden wie den Anschein der Erpreßbarkeit“.

Die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) hält die Vorschläge des Boeden-Papiers für „diskussionswürdig“. Im Gespräch mit der

taz erklärte Frau Limbach, sie könne einen nur von den SPD -regierten und einigen CDU-Ländern ausgearbeiteten Vorschlag nicht völlig ausschließen. „Vornehmliches Ziel“ bleibe jedoch „eine Lösung des Konflikt auf größerer Ebene“.

Nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) stehen rechtliche Gründe einer Zusammenlegung in Großgruppen nicht entgegen. In einer Stellungnahme des ASJ-Bundesvorsitzenden Horst Isola heißt es, das Strafvollzugsgesetz lasse eine derartige Maßnahme zu. Sie werde von renommierten Gesetzeskommentatoren sogar empfohlen. Von Erpressung könne nicht die Rede sein.

Unterdessen besetzten gestern über hundert UnterstützerInnen des Hungerstreiks - darunter Ärzte, Anwälte, Grüne Parlamentarier und Pastoren - das Gebäude der Hamburger Ärztekammer. Mit ihrer Ak

tion wollten sie auf die „konkrete Lebensgefahr“ für die zum Teil seit fast neun Wochen hungernden Inhaftierten aufmerksam machen. Von der Ärztekammer verlangten sie eine eindeutige Stellungnahme gegen Isolationshaft, Zwangsernährung und die sogenannte „Koma-Lösung“. Ein an der Aktion beteiligter Arzt lehnte die Koma-Methode ab, weil so mit einer „intensiv-medizinischen Behandlung“ der Konflikt „von der politischen Ebene auf die medizinische Ebene verlagert“ werde. Ein Sprecher der Ärztekammer machte gegenüber der Presse am Nachmittag weitgehende Zugeständnisse. Der Vorstand werde noch am Abend unter Hinzuziehung eines Vertrauensarztes der Besetzer und einer Anwältin beraten und eine Stellungnahme abgeben. Die Hamburger Ärztekammer hatte sich beim letzten Hungerstreik bereits gegen die Zwangsernährung ausgesprochen.