GRIESSBREI MIT KIRSCHSTEIN

■ Mit Sozialstadtrat May und 50 SeniorInnen in der Seifenfabrik

„Nächste Woche gehe ich in die Philharmonie“, sagt eine der Seniorinnen auf die Frage, was sie denn hierhertreibt. Der Besuch einer Seifenfabrik gehört offensichtlich zu den kulturellen Angelegenheiten - und das noch vor dem gerade angebrochenen Zeitalter der Soziokultur. Schließlich ist so ein mittelständischer Betrieb, mit Aufseher im Glaskasten, Arbeiterinnen mit Kittelschürzen und liebevoll handverpackten Produkten heute schon eine Rarität. Aber vor dem Rundgang werden die 50 SeifeninteressentInnen erst mal im frühkapitalistischen Empfangssaal wie die eigene Werksfamilie bewirtet.

Die Seifenfabrik Puhl war früher fast ausschließlich für die Sauberkeit der BerlinerInnen verantwortlich. Bis sie vom lokalen Markt in den Geschenkartikelexport verdrängt worden ist, wie Herr Kirschstein beim Kirschkuchen erklärt. Heute verschicke man 400 verschiedene Seifensorten (ooh!) in 60 verschiedene Länder (aah!). Die wollen nämlich alle „deutsche“ Seife haben, manche mit Schloß Neuschwanstein drauf, andere im silbrigen Karton, der nur mit Gazehandschuhen angefaßt werden darf. „Also bitte nichts anfassen nachher. Und auch nicht in die heißen Seifenkessel und die Maschinen langen, unsere Mitarbeiter sagen Ihnen schon, wo Sie was anfassen können. Sie kriegen auch am Ende ein warmes Stück Seife in die Hand gedrückt.“

Die Seifenfabrik als Erlebnisraum. Der Andrang bei solchen Veranstaltungen ist sehr hoch, erläutern Sozialstadtrat May und sein Mitarbeiter Karmer. Es wird deshalb schon aufgepaßt, daß nicht dauernd die gleichen mitgehen. In der Schokoladenfabrik waren sie schon, da dürfen sie aber wegen Sicherheitsvorschriften leider nicht mehr rein. In die Zigarettenfabrik durften nur 18 Leute mit, das hat keinen Spaß gemacht. Und Pan Am stellt sich auch quer, nach Kontaktierung mit Washington ist immer noch nicht die Genehmigung da. Dabei seien solche Fabrikbesichtigungen gerade für ehemals berufstätige Menschen ein Bedürfnis.

Das Arbeitsleben wird denen, die die Arbeit entlassen hat, als ein lustvoller Vorgang nützlicher Produktion ausgebreitet. Da wird für eine Seife zehn Tage lang gemischt, dampfgekocht und getrocknet. Flüssiges wird ausgewalzt und zu Bandnudeln gebügelt. Seifenflocken plus Kosmetikzusätzen, Parfüm und Farbstoffen kommen aus dem Fleischwolf als endloser Strang und werden in Seifenstücke zerteilt. Im Verpackungsraum werden sie in raschelndes Papier, glitzernde Bänder und kostbare Schachteln gehüllt.

Doch es gibt auch das traurige Schicksal, als Senatsreserve im Lagerhaus auf dem Hof zu enden, was auch dem Stadtrat neu war. Andere landen zu Tausenden im Hotel. Nichts erinnert an die heißen großen Kessel, in denen eine schmierige, glibberige Masse blubbert. „Wie Grießbrei“, wird erklärt, um den Ekel zu erhöhen, wer möchte aus solchen Töpfen schon essen. Und zwar Natronlauge, Rindertalg und Kokosfett.

Der Talg stammt wie die Big Mäcs von den argentinischen Rinderherden und das Fett von den Plantagen aus Sri Lanka. Wie natürlich sich die gewöhnliche Ausbeutung unserer im Bereich der Hygiene ja noch recht unterentwickelter Nachbarn in den Betrieb einfügt... „Eine saubere Firma“, meint eine noch recht rüstige Seniorin. Und der junge Werksführer meint, der Seifenstaub sei nicht gesundheitsgefährdend. Der junge Mann auf der Empore arbeitet nur deshalb mit Mundschutz, weil er noch nichts gewöhnt ist. Sauberkeit muß gelernt werden, das weiß jeder Hund.

Nach der Besichtigung werden noch Fragen beantwortet. Einer, wohl ein ehemaliger Betriebsrat, fragt nach Stundenlohn, Behinderten und Quotierung. Andere wollen wissen, wie das mit dem Knochenmehl war, aus dem doch früher die Seife gemacht worden ist. Wir kriegen alle eine schnuckelige runde weiße Seife und der Stadtrat verschenkt dafür noch ein Neuköllner Wappen an die Firma. „Nu muß unsa Wappen och uff de Seife“, meint eine von der Kaffeetafel. Die hab ich doch auch schon bei der letzten Ausstellungseröffnung gesehen...?

DoRoh