DOKUMENT DES STERBENS

■ „A Death in the Family“ im Sputnik II

Freunde beim Sterben zu begleiten, ist eine schwierige und gefühlsbeladene Angelegenheit. In seinem Essay Über die Einsamkeit der Sterbenden schreibt Norbert Elias, daß „unter den vielen Geschöpfen auf dieser Erde, die sterben, es allein die Menschen sind, für die Sterben ein Problem ist - sie allein wissen, daß sie sterben werden“. Aber wie zeigt man das in einem Film, noch dazu, wenn es um den mediengestreßten Mythos vom Aidstod geht?

„A Death in the Family“, 1986 in Auckland (Neuseeland) gedreht, räumt alle berechtigten Zweifel beiseite: Der schwer an Aids erkrankte Andrew wird von schwulen Freunden in ihrem Haus in Auckland aufgenommen und gepflegt. Die Handlung wird in dokumentarisch anmutenden Interviews mit den Freunden vorweggenommen. Rückblickend schildern sie ihre Gefühle bei der Nachricht, daß Andrew nur noch fünf Tage zu leben hat: Ihr Wunsch, es dem Freund noch einmal schön zu machen, ihre Ängste vor dem Sterben, ihre Verzweiflung und Hilflosigkeit. Der Film entwickelt sich aus der Sicht von Simon, einem früheren Liebhaber, der die Hausgemeinschaft besucht, um Abschied von Andrew zu nehmen. Was geschieht, kennt jeder: Die Floskel „Wie geht es Dir?“ bleibt Simon im Hals stecken. Er wendet sich ab und lächelt gequält. Hier entfaltet sich die besondere Ästhetik des Films: Gesichter in Nahaufnahme, schonungslos und unbarmherzig. Die Kameraführung läßt den Zuschauer auf so subtile Weise teilnehmen, daß der Film mit wenigen Dialogen auskommt. Die Bilder erzählen das Wesentliche und werden von melancholischer Klaviermusik und enervierendem Spiel einer Mundharmonika akzentuiert. Sie nehmen den Zuschauer gefangen - Distanz, wie sie beim Phänomen „Sterben“ üblich ist, läßt sich nicht aufrechterhalten. Dennoch ist der Film nicht nur von Trauer bestimmt, sondern die Liebe und Zärtlichkeit, mit der die Freunde den Kranken umgeben, hinterläßt das Gefühl von Hoffnung und Vertrauen.

Wenn dann die Familie des Sterbenden ankommt, christlich -konservative Farmer, die große Schwierigkeiten mit Andrews Schwulsein und seiner Krankheit haben, scheint das Geschehen eine dramatische Wende nehmen zu müssen. Aber der Konflikt zwischen der leiblichen und der selbstgewählten schwulen Familie bleibt aus. Statt der erwarteten empörten Unversöhnlichkeit begegnet die Familie dem Kranken mit Hilflosigkeit und demütigendem Mitleid. Die so notwendige Zuwendung und Solidarität wird nur im Freundeskreis offenbar. Das Beisammensein in der Küche der Hausgemeinschaft, das gegenseitige Trösten, aber auch das Reden und Lachen miteinander zeigen die ganze Bandbreite der möglichen Gefühle. Die Darsteller verleihen den Figuren ein verblüffendes Maß an Echtheit, besonders die Leistung von John Watson als Andrew begeistert.

Drehbuch und Regie sind eine gemeinsame Arbeit von Stewart Main und Peter Wells, deren Erfahrungen mit Dokumentarfilmen sich hier in einer künstlerischen Glanzleistung niederschlagen. Umso unverständlicher ist, daß bisher weder die Fernsehanstalten den Film angekauft haben, noch die Deutsche Aidshilfe e.V. der Einladung des Verleihers nach einer Sichtvorstellung nachgekommen ist - widmen doch die Filmemacher ihr Werk „all denen, die eine helfende Hand reichen - in Zeiten von Furcht und Panik“.

Michael Thiel

Ab heute im Sputnik II, Südstern (OmU).