Grüne Tupfer

Die estnischen Grünen hoffen auf ein Mehrparteiensystem, sagt ihr führendes Mitglied Rein Batas Die jetzige Bewegung mobilisiert gegen AKWs, Autobahnen und andere Umweltzerstörungen  ■ I N T E R V I E W

Die Geburtsstunde der estnischen Grünen schlug auf einer Volksversammlung am 23.Mai 1988. Aufgrund der großen ökologischen Probleme in der Republik schlossen sich bald Tausende von Menschen an. Heute zählen die Grünen allein in Tallinn, der Hauptstadt Estlands, 2.000 Mitglieder. Aufschwung nahmen die Grünen im letzten Sommer durch den Kampf einer großen Volksbewegung gegen ein Projekt der Moskauer Ministerien, die Phosphoritgewinnung für die Düngemittelherstellung im Tagebau auszuweiten. Ganze Landstriche waren zerstört worden. Und mit Hilfe von Sympthisanten in der Partei und den Institutionen gelang es, die Ausweitung des Abbaus zu verhindern. Von Herbst an sammelten sich vor allem Experten und Wissenschaftler bei den Grünen, um das Problem der umweltverschmutzenden Kraftwerke - an der Grenze zu Finnland wurden zwei mit einer Kapazität von je 2,5 Millionen Kilowatt und einem Verbrauch von 20 Millionen Tonnen Öl schon in Betrieb genommen, ein drittes, noch größeres Kraftwerk ist geplant - zu analysieren und Vorschläge für ein neues Energiekonzept zu erarbeiten. 60 Prozent der Mitglieder der Grünen Estlands sind Frauen. Die Gruppen arbeiten gleichberechtigt nebeneinander, es gibt keine Hierarchien, außer einem Delegiertenrat auf Republikebene.

taz: Sind Sie auf dem Weg zur Gründung einer grünen Partei?

Rein Ratas: Ende Februar besuchte ich Moskau und nahm an einer Konferenz teil, die vom Komsomol veranstaltet wurde. Während dieser Konferenz wurde eine Allunionskoordination der Grünen gegründet. Nach unserem Programm und nach unseren Plänen wollen wir uns in Zukunft als eine Partei konstituieren. Die gegenwärtige Verfassung der UdSSR jedoch ermöglicht keine anderen Parteien neben der KPdSU. Wir stehen also vor der Alternative, uns als eine Partei zu konstituieren und illegal zu arbeiten oder eine grüne Bewegung zu bleiben. Wir können aber nur legal praktische Erfolge erzielen. Und die haben wir, denn man rechnet mit uns, wir können mit den Behörden zusammenarbeiten.

Welche Erfolge sind das?

Unser Hauptziel ist es, Öffentlichkeit über die Entscheidungen der Kommunistischen Partei und der Staatsverwaltung herzustellen. Und das ist gelungen, niemand kann mehr an uns vorbei eine Entscheidung treffen. Wir haben erreicht, daß die für die Natur schädlichen Technologien nicht mehr angewendet werden dürfen, durch Demonstrationen, durch Öffentlichkeit. Wir haben selbst alternative Technologien vorgeschlagen und ein grünes Programm für die gesamte Republik erstellt, das auch in der Öffentlichkeit disktuiert wird. Wir wissen, wie stark die grüne Partei im Bundestag ist, doch auch wir haben Wahlerfolge. Wir haben sechs Kandidaten für die Wahlen zum Obersten Sowjet im Rahmen der Volksfront aufgestellt. Nicht weit von hier, südlich von Tallinn, plant man eine Autobahn zu bauen. Wir wollen das verhindern und haben Demonstrationen und eine Mobilisierung angekündigt.

Wir schließen aber auch nicht den parlamentarischen Kampf aus. Ende vorigen Jahres gelang es, unseren ersten Delegierten in den Stadtrat von Tallinn durchzusetzen. Anfang März kam der zweite hinzu. Für unsere Forderung nach Stopp der Autobahn stimmten 100 Abgeordnete und dagegen 111. Und da wurde auch klar, daß nicht alles Böse nur aus Moskau kommt.

Wie ist das Verhältnis der Grünen zu den anderen politischen Strömungen?

Es gibt bis jetzt keine großen inhaltlichen Unterschiede. In den Details und der praktischen Umsetzung allerdings schon. Mit der Interbewegung allerdings haben wir Schwierigkeiten. Aber es gibt auch gemeinsame Aktivitäten, zum Beispiel bei der Säuberung der Grünanlagen. Doch ideologisch sind wir weit voneinander entfernt. Was die Kommunistische Partei anbelangt, ist ganz klar: Solange in der Verfassung steht, daß die KP die leitende Kraft in der sowjetischen Gesellschaft ist, können wird dies nicht anerkennen. Wir unterstützen aber selbstverständlich, was an Progressivem von den Kommunisten gerade in letzter Zeit entwickelt wird, wie beispielsweise die Foren freier Diskussion, die die Partei in letzter Zeit veranstaltet. Doch wir würden es mehr begrüßen, wenn die KP sich entschließen könnte, in einem Mehrparteiensystem mit den anderen Parteien zu konkurrieren.

Mit welchen grünen Strömungen arbeiten Sie jetzt schon zusammen?

Es gibt in den anderen Republiken unterschiedlich starke grüne Strömungen. In Leningrad gibt es One-Point-Movements, Clubs, die sich nur mit dem Problem der Verschmutzung des Ladoga-Sees beschäftigen. In Litauen ist die grüne Bewegung ziemlich stark, die organisierten eine Menschenkette um das Ignalina-Atomkraftwerk herum. Mit Erfolg: Der dritte Block des AKWs wird nicht gebaut. Auch in Lettland sind Grüne sehr aktiv, kämpfen gegen die Umweltverschmutzung und den Bau der U-Bahn in Riga. Denn in dem sumpfigen Gelände dort müßte der Grundwasserspiegel gesenkt werden, was für die Altstadt Gefahren in sich birgt. Je größer die Bewegungen sind, desto größere Möglichkeiten der Kontakte und der Zusammenarbeit gibt es.

Interview: Erich Rathfelder