Maulkorb für die britische Presse

Die „Reform“ des Geheimhaltungsgesetzes verschlimmbessert den alten „Official Secrets Act“ von 1911 / Scharfe Kritik des Internationalen Journalistenverbandes an den Maßnahmen der Regierung Thatcher  ■  Aus London Rolf Paasch

Staatsräson geht vor Pressefreiheit, und das Interesse von Staat und Regierung sind identisch. Dies sind die beiden antidemokratischen Grundsätze der neuen britischen Geheimhaltungsakte, die im Mutterland der Demokratie nun mit Sicherheit Gesetz werden wird. Am Mittwoch verpaßten die Lords des britischen Oberhauses die letzte Chance, den repressiven Charakter der „Reform“ des alten „Official Secrets Act“ durch einige Änderungsanträge zu entschärfen.

In Zukunft können Zeitungen z.B. bestraft werden, wenn sie terroristische Drohungen an in Großbritannien operierende US -Fluggesellschaften gegen den Willen der Regierung veröffentlichen. Nicht die gesetzesbrechenden Geheimdienstler, sondern Beamte, die Informationen über deren illegale Aktivitäten an die Presse weitergeben, werden - zusammen mit den Journalisten - sich schuldig machen.

Schon seit Monaten publiziert die liberale Sonntagszeitung 'The Observer‘ all die Artikel, die in Zukunft eine Strafverfolgung nach sich ziehen könnten, mit dem Stempel „Official Secrets“. Die von der Regierung Thatcher jetzt durch das Parlament gebrachte Reform der Geheimhaltungsakte von 1911, die noch zur Abwehr der Spione des deutschen Kaisers gedacht war, beseitigt zwar die absurdesten Verbote der Veröffentlichung von Bagatellinformationen - wie der Speisekarte der Kantine des Verteidigungsministeriums -, in politisch brisanten Feldern verschärft sie allerdings noch die ohnehin schon drastischen Geheimhaltungsvorschriften. Selbst die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen im „öffentlichen Interesse“, das bisher von zwei Geschworenengerichten bei ihrem Freispruch von angeklagten Beamten geltend gemacht worden war, wird in Zukunft nicht mehr als Entschuldigung ausreichen.

„Niedergang der Pressefreiheit“

In einem am Mittwoch in Brüssel veröffentlichten Bericht kritisiert der Dachverband von 44 Journalistengewerkschaften die zunehmenden Angriffe der Regierung auf die Pressefreiheit. „Es ist schockierend“, so äußert sich der 26seitige Bericht zu dem neuen britischen Geheimhaltungsgesetz, „daß Journalisten, die nur ihre Arbeit tun, ins Gefängnis gesteckt werden können, ohne daß jemand nachweisen muß, daß die nationalen Interessen Schaden gelitten haben.“ Als weitere Indizien für den „Niedergang der Pressefreiheit“ in Großbritannien führt der Internationale Journalistenverband die Anstrengungen der britischen Regierung, die Spionagememoiren Spycatcher zu verbieten, sowie das Verbot von Interviews mit Symphatisanten der nordirischen Untergrundorganistion IRA an. Eine wichtige Ursache des Problems sei, so der Bericht, daß Pressefreiheit in Großbritannien nur als Recht auf freie Meinungsäußerung, nicht aber als Anspruch der Öffentlichkeit auf Information definiert sei.

Ungeachtet massiver Kritik hat die Regierung in London rechtliche Schritte jetzt doch gegen die drei britischen Zeitungen eingeleitet, die 1987 Auszüge aus dem Buch Spycatcher des ehemaligen Geheimdienstlers Peter Whright gedruckt hatten. Wie gestern in London gekannt wurde, handelt es um die Blätter 'The Independent‘, 'The Sunday Times‘ sowie um die inzwischen eingestellte 'News on Sunday‘.