Namibias Unabhängigkeit wieder in Gefahr

■ Formal ist die Swapo im Unrecht, aber für die Massaker ist Südafrika verantwortlich / Aus Windhoek H.Brandt

Mehr als 200 Tote - etwa 90 von ihnen Swapo-Angehörige haben die Kämpfe im Norden Namibias in den letzten Tagen gekostet. Vor allem die UNO, die viel zuwenig Truppen nach Namibia geschickt hatte, um den Waffenstillstand zu überwachen, bemüht sich jetzt fieberhaft um Vermittlung. Ein erster Erfolg: Südafrikas Außenminister Pik Botha hat gestern über den Rundfunk den Swapo-Guerilleros freies Geleit nach Angola unter UNO-Aufsicht angeboten, wenn sie die Waffen niederlegen.

Im Norden Namibias wüten die schwersten Gefechte in der Geschichte des Landes. Mehr als 1.200 Guerilleros der südwestafrikanischen Volksorganisation Swapo sind aus dem Süden Angolas in das Kriegsgebiet eingedrungen. Ihnen stehen etwa 4.000 südafrikanische Soldaten gegenüber.

Inzwischen werden auf Seiten der Südafrikaner Hubschrauber und zwei Bataillone schwerer Panzerfahrzeuge eingesetzt. Dazu wurden berüchtigte Eliteeinheiten der Polizei und des Militärs in den Kampf geschickt. Mehr als 160 Swapo-Kämpfer sind bisher gefallen, fünf gefangen genommen. Die Südafrikaner mußten 20 Tote hinnehmen - mehr als je zuvor in solchen Kampfhandlungen.

Die UNO hat indessen zugegeben, daß die Swapo-Kämpfer über die Grenze aus Angola kamen - jedoch mit friedlichen Absichten. Die Südafrikaner suggerieren das Gegenteil: „Wenn hier auf uns geschossen wird, dann sieht die Sache ganz anders aus“, meint der Polizeisprecher, Oberstleutnant Derek Brune. Welche Seite jedoch den ersten Schuß gefeuert hat, behauptet Brune nicht wissen.

Swapo-Offiziere getötet?

Inzwischen glauben südafrikanische Militärs sogar, wenige hundert Meter jenseits der Grenze mit Angola kubanische und angolanische Soldaten beobachtet zu haben. Mindestens eine Gruppe von Guerilleros befindet sich indessen etwa 100 Kilometer südlich der Grenze. Die Südafrikaner behaupten, drei wichtige Swapo-Offiziere getötet zu haben: den regionalen Stabsoffizier Hainongo, den Leiter der „Alpha„ -Abteilung Kashima und einen Kommunikationsoffizier der Swapo-Spezialtruppen, Checco. Dies beweise, so ein Militärsprecher, daß die Führung der Swapo-Armee die jüngsten Aktionen angeordnet habe.

In der Nacht zum Dienstag war automatisches Feuer in der Nähe der großen Militärbasis in Oshakati zu hören. Gerüchte kursieren, daß eine Gruppe von 200 Swapo-Guerilleros die Basis angreifen will. Beim Luftstützpunkt Ondangwa, 30 Kilometer östlich von Oshakati, wurde am Montag abend aus einem vorbeifahrenden Auto mit automatischen Waffen auf Wachen geschossen.

Anwohner der Militärbasis Otapi 75 Kilometer östlich von Oshakati beobachteten am Sonntag die Aushebung eines Massengrabes, in das angeblich mehr als 20 Leichen geworfen wurden. Sie vermuten, daß hier gefallene Guerilleros begraben wurden. Da das Grab auf der Basis liegt, war die Behauptung nicht unabhängig zu bestätigen.

In der Nähe von Otapi im Buschkrankenhaus von Nakajale sitzt ein ergrauender alter Mann im Rollstuhl auf der Veranda. „Hier geschehen schreckliche Dinge, und ich beobachte das alles schon seit mehr als zehn Jahren“, sagt er in gepflegtem Englisch. Während wir uns unterhalten, taut das Mißtrauen, das schwarze Bewohner dieses Kriegsgebietes routinemässig gegen Weiße hegen, langsam auf. Und dann stellt er sich endlich vor. „Ich heiße Jacob Kuhangua. Ich war einer der Mitbegründer von Swapo und einige Jahre Generalsekretär“, gibt er zu. Seit einer Messerstecherei 1965 ist er querschnittgelähmt.

„Die Südafrikaner sind sehr provokativ“, ärgert er sich und schiebt sich frustriert in seinem Rollstuhl hin und her. „Tatsächlich kämpfen wir trotz der Resolution 435, dem UNO -Friedensplan, noch immer einen schrecklichen Krieg“, sagt er. Trotz seiner Sympathie für die Guerillas versteht er nicht, warum sie jetzt aus Angola gekommen sind und damit gegen das Friedensabkommen verstossen. „Ich mache mir große Sorge“, sagt Kuhangua.

Massaker als „Prügel“

„Die haben eben Prügel gesucht, nun werden sie aber ordentlich Prügel kriegen“, sagt ein junger burischer Leutnant zuversichtlich. Die Gruppe von sechsrädrigen „Ratel„-Panzerfahrzeugen, die er leitet, ist am Sonntag morgen mobilisiert worden. Der UNO-Sonderbeauftragte Martti Ahtsisaari hatte auf Drängen des südafrikanischen Militärs die Restriktionen einiger Einheiten aufgehoben, die aufgrund des am Samstag in Kraft getretenen UNO-Friedensplanes für die Unabhängigkeit Namibias ihre Lager nicht verlassen dürften. In drei Tagen sind Brune zufolge 161 „Terroristen“ getötet worden - mehr, als im ganzen letzten Jahr. Allerdings muß Brune zugeben, daß die Südafrikaner nicht wie gewohnt in kürzester Zeit der Sache ein Ende machen konnten. Dem südafrikanischen Außenminister Roelof Pik Botha zufolge befinden sich noch weitere 4.000 bis 5.000 Swapo-Guerilleros in der Nähe der Grenze in Angola.

Ständig brummen die Hubschrauber zum Luftstützpunkt Ondangwa, 30 Kilometer östlich von Oshakati. Sie bringen Verwundete aus den verschiedenen Kampfgebieten. Panzereinheiten, Mannschaftswagen und Versorgungsfahrzeuge sind rund um die Uhr in die Kampfgebiete unterwegs. „Es gibt Gegenden, wo so viele von denen sind, daß wir das nicht unter Kontrolle bringen können“, sagt Brune. „Im Augenblick geht es für uns nicht so gut, wie wir es gerne hätten.“ Aber er glaubt, daß das Ergebnis der Gefechte dennoch feststeht.

Zwar haben die Swapo-Kämpfer, die noch immer über die Grenze kommen, sich in kleine Gruppen von weniger als zehn aufgeteilt, was die Verfolgung schwieriger macht. Verstärkung aus dem Süden Namibias wird angefahren, zusätzliches Gerät aus Südafrika eingeflogen. Dabei hat Südafrika keine Schwierigkeiten, bei Ahtisaari die nötige UNO-Zustimmung zu erhalten.

Wenn ein Waffenstillstand nicht irgendwie erreicht werden kann, werden die Swapo-Kämpfer zum größten Teil ums Leben kommen. Bis Anfang nächster Woche geben ihnen die Militärsprecher. Die Südafrikaner sind nicht bereit, sich zurückzuhalten. Auf die Frage, warum man die Guerilleros nicht einfach in Ruhe läßt und die UNO bittet, einzugreifen, reagiert Oberst Japie Dreyer vom südafrikanischen Militär mit ungehaltenem Sarkasmus: „Wie lang glauben Sie denn, würde die Untag brauchen, um 1.200 Terroristen unter Kontrolle zu bringen?“

Für die UNO, deren „United Nations Transition Assistance Group“ (Untag) den Unabhängigkeitsprozeß überwachen soll, sind die Gefechte besonders peinlich. Nur etwa 1.000 Mann haben sie derzeit in Namibia, auf das ganze Land verteilt. Im Kriegsgebiet sind einige Offiziere aus Pakistan und eine Bataillon Soldaten aus Malaysia. Sie begleiten zum Teil südafrikanische Einheiten in die Gefechte. Unterbrechen können sie die Kämpfe nicht.

„Untag ist keine Macht, die hierher gekommen ist, um zu kämpfen“, erklärt Dreyer, der südafrikanische Oberst. „Sie sind lediglich hier, um die Bewegungen des südafrikanischen Militärs zu überwachen.“ Auch der Untag-Sprecher Fred Eckhardt betont, daß es nicht die Rolle der Blauhelme sei, bei Kampfhandlungen selbst einzugreifen.

Warum sind die Guerillas überhaupt nach Namibia gekommen, an dem Tag, als die Unabhängigkeit endgültig zum Greifen nahe war? „Wir sind nicht zurückgekommen, um zu kämpfen“, sagt Johannes Phillipus Katumba, einer von zwei Swapo -Gefangenen, die am Montag in Oshakati der Presse vorgeführt wurden. „Wir wollten nach Hause kommen, um in Frieden zu leben.“ Der Befehl zur Überquerung der Grenze sei von ihrem Gebietskommandanten gekommen.

„Ich kann nicht verstehen, wie die Swapo je denken könnte, daß sie mit 1.200 voll mit offensiven Waffen ausgerüsteten Leuten hier reinkommen könnten und daß die südwestafrikanische Polizei einfach zulassen würde, daß sie tun können, was sie wollen,“ wundert sich Oberst Dreyer. Daß die Swapo-Leute allerdings als erste geschossen hätten, behauptete er wohlweislich nicht.