Der polnische Kompromiß steht

Solidarnsc und Regierung einigen sich am runden Tisch / Verbotene Solidarnosc wird wieder zugelassen / Freie Wahlen für eine zweite Kammer des Parlaments schon im Juni vorgesehen /Die Löhne werden zu vier Fünfteln an die Inflation angepaßt  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Gestern um 17.00 Uhr war es soweit: Nach monatelangen Verhandlungen wurde der polnische Kompromiß zwischen der Regierung und der Opposition unterzeichnet, der am runden Tisch ausgehandelt wurde. Das „historische Dokument“, ein 200 Seiten starkes Abkommen, das nun die Unterschriften von Innenminister Kiszczak und Arbeiterführer Lech Walesa ziert, sieht die Wiederzulassung der seit 1981 verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc und der Bauernsolidarität vor. Die abschließende Plenarsitzung der Teilnehmer am runden Tisch wurde live im Fernsehen übertragen.

„Es ist erreicht“, erklärte Lech Walesa mit dem ihm eigenem Pathos, „vor Polen und der ganzen Welt sage ich: Wir haben erreicht, was wir versprochen haben.“ Mit der Vereinbarung wird die Opposition Zugang zu den Druck- und Funkmedien erlangen. Im Parlament soll eine zweite Kammer geschaffen werden, der Senat, dessen Mitglieder im Juni völlig frei gewählt werden. In der ersten Kammer, dem Sejm, reserviert sich die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) 65 Prozent der Sitze, 35 Prozent sollen in freien Wahlen vergeben werden. Beide Kammern sollen dann als Nationalversammlung zusammentreten und den ebenfalls neu eingeführten Präsidenten wählen. Über die Machtverteilung zwischen den beiden Kammern des Parlaments und dem Präsidenten war noch bis zuletzt heftig gerungen worden. Am Dienstag erst begann sich eine Einigung anzubahnen: Der Präsident hat ein Vetorecht gegenüber dem Sejm erhalten. Nur bei einer Zweidrittelmehrheit kann der Sejm den Präsidenten überstimmen. Das gleiche gilt für das Vetorecht des Senats, also der im Juni zu wählenden zweiten Kammer, gegenüber dem Sejm.

Bei der bis zuletzt umstrittenen Lohnregelung wurde der Kompromiß zwischen Regierung und Solidarnosc angenommen. Danach sollen die Löhne zwar im Prinzip an die Inflationsentwicklung von 60 Prozent angepaßt werden, doch sollen sie nur um vier Fünfteln der Inflationsrate, also um 48 Prozent, steigen. Bis zuletzt hatten die offiziellen Gewerkschaften diesen Kompromiß bekämpft und ihrerseits eine feste Teuerungszulage für alle Lohnempfänger und Rentner in gleicher Höhe vorgeschlagen. Offenbar unter dem Druck der Parteispitze auf OPZZ-Führer Alfred Miodowicz, der zugleich Mitglied des Politbüros der PVAP ist, mußten die offiziellen Gewerkschaften nachgeben. „Sieben Jahre haben sich die OPZZ nicht um die Interessen der Arbeiter gekümmert, und jetzt setzen sie die Zukunft Polens aufs Spiel“, hatte Solidarnosc -Sprecher Onyszkiewicz noch gestern nachmittag geklagt. Die Regierung hatte die Gespräche am runden Tisch nach der landesweiten Streikwelle im vergangenen Sommer angeboten. Sie erhofft sich von dem Abkommen wirtschaftliche und politische Stabilität sowie mehr Investitionen aus dem Westen. Die Gespräche hatten nach langem Tauziehen und gegen den Widerstand konservativer Kräfte im Staatsapparat und in der kommunistischen Vereinigten Arbeiterpartei am 6. Februar begonnen.