Hungerstreik: Bonn schaltet auf stur

Kein Angebot der Regierung / Ex-Regierungssprecher Bölling fordert Gespräche der Kirchen mit dem Kanzler  ■  Von unseren Korrespondenten

Bonn/Düsseldorf/Berlin (taz) - Unser demokratischer Rechtsstaat darf sich nicht erpressen lassen.“ Dies beschloß das Kabinett in Bonn gestern zum Hungerstreik. Die Regierung schloß sich wortgleich den Äußerungen von Generalbundesanwalt Rebmann vom Vortag an: „Isolationshaft oder unmenschliche Haftbedingungen gibt es in der BR Deutschland nicht.“ Kanzler Kohl gab Staatssekretär Kinkel den Auftrag, seine Gespräche fortzusetzen und „alle Bemühungen zu unternehmen, die einer Eskalation entgegenwirken“. Wie das ohne ein Verhandlungsangebot an die Häftlinge bewerkstelligt werden soll, wollte Regierungssprecher Ost nicht verraten. Über die Verlautbarung der harten Linie hinaus herrscht de facto eine Nachrichtensperre. Das Papier des Verfassungsschutzes (siehe taz von gestern), in dem für Teilzugeständnisse plädiert wird, habe im Kabinett keine Rolle, sagte Ost, jedoch auf der Konferenz der Länder-Justizstaatssekretäre am Dienstag „Beachtung gefunden“.

Dem Hungerstreik der RAF-Gefangenen haben sich gestern - 64 Tage nach dem Beginn - vier weitere Inhaftierte angeschlossen. Es sind dies die Gefangenen Angelika Goder in Berlin, Sieglinde Hofmann und Ingrid Jakobsmeier in Bielefeld sowie der Fortsetzung auf Seite 2

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Untersuchungshäftling Thomas Thoene, der sich selber zum „Widerstand“ rechnet - in Düsseldorf. Damit verweigern jetzt insgesamt 16 Gefangene die Nahrungsaufnahme.

Der Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums korrigierte gestern eine Meldung seines Ministeriums vom Vormittag, wonach sich der Gesundheitszustand Karl-Heinz Dellwos gravierend verschlechtert habe. Der körperlich geschwächte Dellwo soll gestern entgegen seinen Gewohnheiten erst um 10.30 Uhr aufgestanden sein. Nach Angaben des Sprechers habe Dellwo dann anschließend einen längeren Besuch empfangen. Im Düsseldorfer Justizministerium hieß es gestern, der Zustand der ebenfalls seit dem 1. Februar hungernden Christa Eckes sei bislang nicht lebensbedrohlich. Christa Eckes nehme auch am Hofgang teil und schreibe bis in den Abend auf der Schreibmaschine.

Der frühere Regierungssprecher unter Bundeskanzler Schmidt, Bölling, hat die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern aufgefordert, den hungerstreikenden Gefangenen im Sinne der „durchaus vernünftigen und pragmatischen Anregungen“ des Verfassungsschutzes entgegenzukommen.

In einem Interview mit der taz regt Klaus Bölling zur Lösung des Konflikts „ein Gespräch der führenden Männer beider Kirchen“ mit Bundeskanzler Kohl an. Der Bonner Justizstaatssekretär Klaus Kinkel sei bei seinen Vermittlungsbemühungen offenbar „an den von einem Beamten gezogenen Grenzen“ angelangt.

Gestern meldete sich auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt zu Wort. Getreu seiner Linie als Bundeskanzler im Deutschen Herbst schreibt der Mitherausgeber der 'Zeit‘ in der heutigen Ausgabe: „Der Gedanke, es gehe um einen Kompromiß zwischen Rechtsbrechern einerseits und andererseits den zum Gehorsam gegen Gesetz und Grundgesetz verpflichteten Be

hörden, den eine quasi neutrale Persönlichkeit zu vermitteln habe, ist absurd.“ Schmidt weiter: Für die Praxis des Strafvollzuges lasse das Gesetz „erhebliche Ermessensspielräume“. Die Behörde müßten sich fragen, inwieweit sie davon Gebrauch machen wollten oder ob sie in Kauf nehmen müßten, „Märtyrer für eine gefährliche Bewegung entstehen zu lassen“.

Walter Mompers gescheiterter Vermittlungsvorschlag, in dem Süssmuth und der EKD-Präses Schmude als Vermittler vorgeschlagen wurden, schlägt weiterhin Wellen. In der heutigen Ausgabe der CSU-Hauspostille 'Bayernkurier‘ warf Bayerns Innenminister Edmund Stoiber der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth vor, sie hätte mit ihrer prinzipiellen Zustimmung „zum Schaden von Demokratie und Rechtsstaat“ falsche und „mehr als peinliche Signale“ gegeben...

Ein Sprecher der Bundestagspräsidentin wies die Kritik in scharfer Form zurück. Frau Süssmuth benötige „keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie und Rechts

staat“. Um die Probleme nicht durch öffentliche Äußerungen anzuheizen, werde sie dem bayerischen Innenminister die angemessene Antwort persönlich erteilen.

Über die vorgestrige Konferenz der Justizstaatssekretäre wurde inzwischen bekannt, daß die Ländervertreter Berlins und Schleswig-Holsteins eine eigene Initiative angepeilt haben. Nach Informationen der taz wollen sie nach einer Lösung in Richtung Zusammenlegung suchen. Den Bemühungen Klaus Kinkels hätten sie entgegengehalten, daß sie einfach zu lange dauerten.

Daneben bemüht sich offenbar auch der nordrhein -westfälische Ministerpräsident Johannes Rau um ein Ende des Hungerstreikes. Ein Regierungssprecher sagte, daß Rau von seinem Urlaubsort aus „täglich“ mit Justizminister Krumsiek und den anderen Länderchefs, auch solche aus CDU-Ländern, in Kontakt stünde. Zu der Frage, ob es möglicherweise in Kürze ein eigenes Angebot der SPD-regierten Länder geben werde, wollte der Sprecher nichts sagen.