Kneipe für Knackis

■ Verein „Sankt Martin“ will Starthilfe für Strafentlassene leisten / Pachtkosten der Kneipe trägt der Verein / „Stammkneipe“ in der Winterfeldtstraße als Anlaufstelle

Die „Stammkneipe“ in der Schöneberger Winterfeldtstraße ist eine ganz gewöhnliche Berliner Kneipe. Etwas verräuchert, gediegene Holzgemütlichkeit. Hinter der Theke sind die üblichen Flaschenbatterien aufgereiht. Nur ein kleines Schild im Fenster deutet daraufhin, daß die „Stammkneipe“ vielleicht doch keine ganz normale Kneipe ist. „Sankt -Martins-Gesellschaft“ steht auf der Kreidetafel. Äußerlich ist kaum zu erkennen, daß hier heute ein ungewöhnliches Projekt beginnt.

Die „Stammkneipe“ soll nämlich zu einer Anlauf- und Kontaktstelle für entlassene Strafgefangene und Menschen in sozialer Not werden. „Es wird immer viel von Wiedereingliederung und Resozialisierung geredet und es wird nichts getan“, sagt Karlheinz Rohrbrecher von der Sankt -Martins-Gesellschaft. Der gelernte Florist ist einer der drei festeingestellten Mitarbeiter des neuen Projekts. Doch wenn die Leute aus dem Knast kommen, so seine Erfahrung, stehen viele erstmal auf der Straße. „Und mit 80 Mark Rücklage kommen sie nicht weit.“ Die „Stammkneipe“ soll deshalb auch (fast) rund um die Uhr geöffnet sein. Auch ein „Nottelefon“ soll installiert werden. Von den Einnahmen der Kneipe will der Verein, der bislang keinerlei finanzielle Unterstützung erhält, seine Arbeit finanzieren. „Eine Kneipe, die keine wirtschaftlichen Interessen verfolgt, ist doch einmalig für Berlin“, sagt Rohrbrecher. Die Pachtkosten für die Kneipe, 20.000 Mark, haben die zwölf Vereinsmitglieder privat aufgebracht. Der Verein hat zwar einen katholischen Namenspatron, aber mit der Kirche ansonsten nichts zu tun.

Die Sankt-Martins-Gesellschaft will den Haftentlassenen bei der Wohnungssuche helfen, Möbel vermitteln und sie zum Sozialamt begleiten. Auch kurzfristige Unterbringungsmöglichkeiten kann der Verein vermitteln. In den Hinterräumen der Kneipe befinden sich ein Büro und Lagerräume. Hier werden Möbel- und Sachspenden gesammelt. Auf einem Tisch liegen Briefe von Inhaftierten. Viele wenden sich schon vor der Entlassung an den Verein und bitten um Möbel. „Wir besorgen das dann, von der Tasse bis zum Bettlaken“, sagt Rohrbrecher. Auf keinen Fall soll die „Stammkneipe“ aber zu einem isolierten Treffpunkt werden.

Ziel der Einrichtung ist nämlich auch, daß Haftentlassene Kontakt mit sogenannten „Normalbürgern“ bekommen. „Das soll kein Verbrechertreff werden“, sagt auch Rohrbrecher. Die ehemaligen Stammgäste haben sich nach seiner Aussage schon an das neue Konzept der „Stammkneipe“ gewöhnt und kommen wie bisher in die Winterfeldtstraße 56, um hier ihr Bier zu zischen.

-guth