Erpressung mit Heß-Nachlaß

■ Ehemaliger britischer Gefängnisaufseher für Erpressungsversuch an Sohn von Rudolf Heß zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt / Er forderte 150.000 Pfund

Mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung endete gestern der Prozeß gegen den 33jährigen Briten Steven T., der - wie berichtet - versucht hatte, den Sohn des früheren Hitler-Stellvertreters, Wolf-Rüdiger Heß, mit Gegenständen aus dem Nachlaß seines Vaters zu erpressen. Der Brite war von Juli 86 bis August 87 als Aufseher im ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis Spandau tätig, in dem der zu lebenslanger Haft verurteilte Rudolf Heß 41 Jahre eingesessen hatte, bevor er im August '87 nach einem Selbsttötungsversuch starb.

Steven T. hatte Wolf-Rüdiger Heß im vergangenen Oktober anonym diverse Sachen aus dem Besitz seines Vaters zum Kauf angeboten, unter anderem die Uniform, die der Hitler -Stellvertreter 1941 bei seinem Flug nach Schottland getragen hatte. Wenn der Heß- Sohn dafür nicht 150.000 Pfund zahle, so die Drohung des Briten, werde er sämtliche Gegenstände auf einem Markt in Amerika verkaufen. Wolf -Rüdiger Heß gab vor, zum Kauf bereit zu sein, schaltete aber sofort die Polizei ein. Nachdem er sich anhand von Fotos, auf denen die ihm angebotenen Gegenstände neben einer Tageszeitung abgebildet waren, von der Echtheit überzeugt hatte, wurde Steven T. im Dezember '88 bei einem fingierten Übergabetermin in Hamburg festgenommen. Er legte ein Geständnis ab und wurde gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt.

Die besagten Uniformteile waren schon ein Jahr vor Heß‘ Tod im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis verschwunden. Der Angeklagte erklärte gestern vor Gericht, daß er mit dem unmittelbaren Diebstahl nichts zu tun habe. Er habe die Sachen vielmehr in einem blauen Müllbeutel in einem Lagerraum des Gefängnisses „gefunden“. Erst nach Heß‘ Tod habe er versucht, sie zu Geld zu machen. Weil ihm das Angebot von 10.000 Pfund eines Londoner Auktionshauses zu wenig gewesen sei, habe er sich an Wolf-Rüdiger Heß gewandt. Nach mehreren Telefongesprächen sei er sich „ganz sicher gewesen, daß alles klappen“ werde.

Die Verteidigung befand, daß der Angeklagte nicht wegen versuchter Erpressung verurteilt werden könne, weil die Gegenstände nicht das Eigentum von Heß, sondern des „ehemaligen deutschen Reiches oder des Nachfolgestaats oder der Alliierten“ seien. Das Gericht hielt die Eigentumsfrage hingegen für „unbeachtlich“. Die Drohung, die Sachen bei Nichtzahlung in Amerika zu verkaufen, stelle eine versuchte Erpressung dar: „Dem Sohn mußte es peinlich sein“, daß mit den persönlichen Dingen seines Vaters auf dem allgemeinen Markt „der neonazistische Kult“ gefördert werden könne.

plu