Verfassungsschutz wird umgebaut

■ Der Senat setzt eine Sonderkommission zur Ausforschung der Spitzelbehörde ein / Ergebnisse bis zum Sommer

Seit gestern ist der Berliner Verfassungsschutz (VS) selbst ins Fadenkreuz eines Observationstrupps geraten. Wie Innensenator Pätzold der Öffentlichkeit mitteilte, hat er eine dreiköpfige Arbeitsgruppe auf sein eigenes Amt angesetzt, um die „Fehlentwicklungen beim Verfassungsschutz“ möglichst umgehend offenlegen zu können. Sinnvolle Veränderungen beim Verfassungsschutz, so die Überzeugung des jetzigen Innensenators Pätzold bereits vor seiner Wahl, setzen erst einmal einen genauen Überblick über die Arbeit des VS in den zurückliegenden Jahren voraus. Den sollen jetzt drei Leute schaffen, die sich nun auf Wunsch Pätzolds durch die Dateien und Archive der Geheimen wühlen. Seine Hoffnungen setzt der neue Innensenator auf Senatsrat Peter Haupt, der angeblich über Erfahrungen bei schwierigen Sonderaufträgen verfügt, auf den Staatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinhäuer, der sich als harter Ermittler im Antesskandal seine Meriten verdient hat, und den Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten, Hansjürgen Garstka, der für die Kontrolle des Sicherheitsbereichs zuständig ist. Fätkinhäuer soll allerdings nicht in seiner Eigenschaft als Staatsanwalt tätig werden, sondern seine Ermittlungserfahrungen in das Observationsteam einbringen. Der Arbeitsauftrag für die Gruppe ist formal identisch mit dem Auftrag, den der Untersuchungsausschuß zum VS im letzten Dezember erhalten hatte. Tatsächlich herauskommen soll dabei eine Klärung aller noch offener Fragen im Zusammenhang mit der Bespitzelung von Journalisten, Abgeordneten und Parteien. Dabei will Pätzold auch auf eine Offenlegung derjenigen Journalisten drängen, die klandestin für das Amt gearbeitet haben. Da sich im Verlauf des Untersuchungsausschusses die Indizien häuften, daß der VS V-Leute in der taz plaziert hatte, sehen wir diesem Teil der Ermittlungen der Pätzold -Arbeitsgruppe mit besonderem Interesse entgegen. Der zweite große Komplex für die Revisoren soll die Aufklärung des dunkelsten Kapitels des VS zum Ziel haben - die Verwicklung des Geheimdienstes in den Mord an dem Studenten Ulrich Schmücker 1973 im Grunewald. Nachdem der Bundesgerichtshof vor wenigen Tagen zum dritten Mal ein Urteil im Schmücker -Prozeß kassiert hat, weil die amtlich gedeckte Vertuschung des VS eine sachgerechte Beweisführung im Prozeß verhinderte, soll nun die von Pätzold angeordnete Untersuchung die Fakten auf den Tisch bringen. Mehrfach hatte Pätzold in der Vergangenheit gelobt, den Schleier über dem Schmücker-Skandal zu lüften, auch auf die Gefahr hin, das die damals regierenden Sozialdemokraten nicht gut dabei wegkommen. Darüber hinaus knüpft der Auftrag an die Ermittlercrew noch einmal an einen wichtigen Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und AL an. Pätzold will wissen, nach welchen Kriterien eigentlich der VS im Bereich des „politischen Extremismus“ arbeitet. Da die SPD eine völlige Abschaffung dieser Abteilung des VS verweigert hatte, soll nun im Detail geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen zukünftig noch „Beobachtung im Extremismusbereich“ stattfinden soll. Wenn die bisherige Praxis geklärt ist, so Pätzold gegenüber der taz, können wir uns an eine Neudefinition heranmachen. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis, soviel steht jetzt schon fest, soll die Frage, wen beobachtet der Verfassungsschutz warum, zukünftig in einem neuzugründenden Parlamentsausschuß zur Kontrolle des Verfassungsschutzes erörtert und damit dem Amt so das Definitionsmonopol entzogen werden kann. Der Ausschuß (siehe auch Seite 16) soll öffentlich tagen und mit allen Rechten eines Untersuchungsausschusses ausgestattet werden. Bis zum Sommer wird die jetzt eingesetzte Arbeitsgruppe diesem Parlamentsausschuß ihre Ergebnisse vorlegen. Mit diesen beiden Maßnahmen hofft die SPD einen darüber hinausgehenden ausschließlich zur Aufdeckung der Vorgänge um Schmücker einzurichtenden U-Ausschuß überflüssig zu machen. Nach dem bisherigen Zeitplan des Senats werden dann im Herbst auf Grundlage des Berichts der Sonderkommission die strukturellen und personellen Konsequenzen im Landesamt für Verfassungsschutz gezogen werden.

JG