Luggi und Luciano in San Paolo

SSC Neapel - Bayern München 2:0 / Bayrisch-napolitanische Gespanne beim verdienten Sieg der Italiener  ■  Aus Neapel Werner Raith

„Des da“, sagt Ludwig „Luggi“ Bernlocher aus Neubiberg und haut aus der Höhe seines Meterneunzig dem eineinhalb Köpfe kleineren, lockenköpfigen Bürschlein neben sich gönnerhaft auf die Schulter, „des is der Lutschano. Mit dem fahr i überall hin, wenn die unsern in Italien spuin. Der ist wia a Maskottchen, da gwinnan mia imma. Und außerdem hat der imma an Platz, wos'd übeanachtn konnsd.“

Luggi und Luciano gehören zu den mehreren hundert gemischtnationalen Gespannen aus teutschen Recken und neapolitanischen Fans, die die Fahrt ins San Paolo-Stadion gemeinsam unternommen haben, um „unsere Bayern gegen an Maradona spuin z'segn“, wie Luggi das ausdrückt. Daß die Südländer dabei meist die Unterkunft stellen, versteht sich von selbst.

Knapp eine Dreiviertelstunde nach Spielbeginn bekommt die Symbiose jedoch einen deutlichen Knacks: Mitten in einer allerdings nur kurzzeitigen bayrischen Drangperiode haben sich zwei Neapolitaner nach vorne durchgeschlängelt, und Careca hat aus einer Situation heraus, „wo des überhaupts net geht“, an fünf Gegnern vorbei das 1:0 erzielt. Luciano, der noch immer nicht viel spricht, nimmt nun einen gewissen räumlichen Abstand zu seinem bajuwarischen Begleiter ein; unklar, ob er fürchtet, daß Luggis Schulterklopfer härter werden, oder ob er aus wiedergefundenem Stolz abrückt. Luggi jedenfalls beginnt nun, jede Einzelaktion zu kommentieren, „weil eigentlich kenntn mir scho längst zwoa Tore vorn sei“.

Daß das nicht so ist und sich auch nach der Halbzeit nicht ändert, nimmt er offenbar seinem italienischen Freund zunehmend übel. Zumal der prasselnde Regen, den man in San Paolo tapfer schirmlos aushält (die Überdachung für die Weltmeisterschaft 1990 steht erst als gigantisches eckiges Stahlrohrnetz herum), unseren Luggi auch nicht in gerade gute Stimmung versetzt: „Und mir hams gsagt, daß in Napoli allwei schöns Wetter is.“

Da bringt auch die Tatsache wenig, daß er seinen Ansprechpartner wechselt und mit mir zeitweise zur Pressetribüne mitdarf, wo die meisten italienischen Kollegen nur halb bei der Napoli-Partie sind und statt dessen fasziniert auf ihren Monitoren das Spiel Real Madrid - AC Milan verfolgen -, weniger der Aktionen Gullits und van Bastens wegen, sondern weil die Spanier alle paar Minuten nur Bruchteile einer Sekunde dauernde Werbespots einspielen. „Wahnsinn“, wie Kollege di Carlo vom „Messaggero“ staunt, „das hängt sich in dein Unterbewußtsein rein und morgen kaufst du dann willenlos das ganze Zeug, das die da anpreisen.“ Luggi ist empört und gebannt zugleich, zumal es ihm, weil ja immer wieder mal vom Spiel auf dem Rasen da unten abgelenkt, erst nach einer guten Viertelstunde gelingt, einen dieser Schnell-Spots zu erhaschen und er dabei partout nicht herausbringt, was nun wirklich zu sehen ist; er wird sich bis nach München den Kopf zermartern, „ob de mi jetzt was ham kaufa lassn, was i gar net wui“.

Erst das 2:0 Carnevales, ein Bilderbuchtor, bringt Luggi in die Realität zurück - in die flimmernde, denn er muß es sich im Replay anschauen, das Original hat er versaust. Dann aber ist er ganz da: „Hastn gsegn, den Nachtweih? Net hastn gsegn. Der is a Nullnummer, scho längst hätt i den nausg schmissn.“ Tröstende Worte Lucianos bei unserer Rückkehr zur Nordkurve, daß mit dem 0:2 noch keineswegs alles für die Bayern verloren sei, ordnet Luggi zu recht unter die Rubrik „Ablenkungsmanöver“ ein. „Nix da. De unsern ham einfach Angst vor dem Maradona. Grad wo der gar nix bringt.“

Tatsächlich hat der nach längerer Verletzungspause in einem ziemlichen Formtief einherwandelnde Argentinier nicht viel zu bieten - doch zweifellos bindet er ständig zwei, drei Bayern, und das ganz nach dem Lehrbuch schon im Anstoßraum, so daß die Münchner hinten aufmachen müssen und so Platz für schnelle Vorstöße schaffen. Als Maradona zehn Minuten vor Schluß ausgewechselt wird, gibt es nur spärlichen Beifall für ihn.

Da freilich hat Luggi, nach einer ganzen Serie bajuwarischer Patzer, seinen vor dem Stadion erworbenen weißblauen Napoli-Schal (die Farben sind ihm ja überaus sympathisch) schon in kleine Fetzen gerissen, nicht aus anti -italienischer Stimmung heraus, sondern weil er im Moment nichts anderes zum Zerreißen hat. „Eigentlich sollt ma dös mit dem Bayern-Wimpel macha“, sinniert er nach dem Abpfiff. „Weil dös wirklich koa Demonschtration war von am deitschn Fuaßball.“

Luciano trabt auf dem Heimweg wieder enger neben Luggi her. Ganz verflogen scheint seine Befürchtung allerdings noch nicht, der große Deutsche könnte seinen Ärger bis zum Rückspiel in vierzehn Tagen an ihm auslassen - zuhause nämlich ist Luggi der Vormann der Produktionseinheit von BMW, in der Luciano arbeitet.

NEAPEL: Giuliani - Renica - Ferrara, Corradini, Francini De Napoli, Alemao, Maradona (81. Carannante), Fusi - Careca, Carnevale

MÜNCHEN: Aumann - Augenthaler - Nachtweih, Johnsen (81. Grahammer), Flick - Reuter, Thon, Dorfner, Kögl - Ekström (78. Eck), Wohlfarth