Zum Beispiel Brunhild S.

Wer zwei oder drei Mal im Jahr eine deftige Grippe einfängt, hin und wieder mal was am Magen hat und alle drei Jahre eine neue Brille braucht, der wird die Gesundheitsreform zunächst nicht mehr zu spüren bekommen als die nächste Benzinpreiserhöhung. Wer aber auf jeden Pfennig schauen muß und in ständiger ärztlicher Behandlung ist, wird existentiell zur Kasse gebeten wie beispielsweise Brunhild S. Seit Jahren leidet Frau S. an unheilbarer Multiple Sklerose. Sie braucht ständige Pflege und kann sich nur im Rollstuhl fortbewegen.

Für jedes der zahllosen Medikamente, die sie ständig nehmen muß, zahlt sie seit der Gesundheitsreform eine Mark mehr. Innerhalb der letzten drei Moante ist sie allein dadurch auf eine Apothekenrechnung von 115 Mark gekommen, die sie aus eigener Tasche zahlen muß. Etliche ihrer Medikamente werden nicht zu den geplanten Gruppen der sogenannten Festbetragsregelung fallen. Das bedeutet, daß Brunhild S. ab 1992 jeweils 10 Prozent des Arzneipreises selbst zahlen muß. Einmal täglich wird Frau S. von einer Krankengymnastin behandelt. Dafür verlangt die Gesundheitsreform schon jetzt eine Eigenbeteiligung von 10 Prozent - macht für Frau S. runde 65 Mark im Monat. Insgesamt hat Brundhild S. seit Inkrafttreten der Blüm-Reform 512 Mark aus eigener Tasche für ihre medizinische Versorgung zahlen müssen.

Taxifahrten traut sie sich seitdem gar nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Eigentlich müßte sie zum Zahnarzt fahren, und auch an den Treffen einer Selbsthilfegruppe würde sie gern öfter teilnehmen, aber jede Fahrt in die Außenwelt, jeder gesellschaftliche Kontakt wird jetzt zum kaum bezahlbaren Luxus.

Am Jahresende kann Frau S. zwar einen Teil der Kosten für die Heilmittel von der Kasse zurückfordern, aber nur dann, wenn sie genau über alle Ausgaben Buch führt und jemanden findet, der ihr die bürokratische Abwicklung mit der Kasse abnimmt. Außerdem muß sie sämtliche Kosten, mehrere tausend Mark, erst einmal vorstrecken. „Und wer“, so fragt Frau S., „kann das schon?“