...AN DEREN GLÜCKE MAN GEBAUET

■ Volksfestwissenschaft von Anstand bis Warenhaus

Wo das Volk durch gemeinsame Freudengenüsse für gemeinsame Lasten entschädigt wird, dort muß die Vaterlandsliebe tief wurzeln und in allbegeisternde Kraft für Heerd und Heimath, für Volk und Fürsten flammen. Jedes Herz wird dort erhoben und jede Brust so weit, daß das Vaterland Raum darin findet. Wo aber nur die Steuerliste und der Heeresdienst das Band des Volkes bilden, da rostet auch die alte Liebe, und wie die Freudenplätze, die Versammlungssäle kleiner werden, so schrumpfen auch die Herzen ein.“

Zeitkritische Überlegungen eines gewissen Montanus, 1854 verfaßt. Die Abhandlung „Die deutschen Volksfeste. Jahres und Familienfeste. Ein „Beitrag zur vaterländischen Sittengeschichte“ beklagt die „Ausartung und Verkümmerung“ der ursprünglich so dem edlen, dem deutschen Wesen gemäßen Volksfeste: „Nirgendwo waltet das Bewußtsein des eigenen Werthes erhabener als in festlicher Schar, an deren Glücke man gebauet. Dort waltet der Tugend edelster Sporn. Dort ist die gedeihlichste Pflanzschule der Sittlichkeit, erleuchtet vom heitersten Sonnenlichte, durchdrungen von lebenerweckender Wärme. (...) Jene Feste brachten selbst dem Bauernburschen (sic!) höhere menschheitswürdigere Freuden, als jetzt die sogenannten Gebildeten aus den gefüllten Sälen tragen.“ Montanus, schon durch einen Buchladen entweiht, dürfte sich heute beim Gang durch Lunapark im Grabe herumdrehen.

Aber er hat die Entwicklung zum Schlechten schon vorausgesehen: Schuld sind die „Landesregierungen, die unsere ursprünglich so schönen allgemeinen Volksfeste, statt sich für ihre Läuterung und zeitgemäße Fortbildung zu bemühen, in dumpfer hochmütiger Gedankenlosigkeit beschränkt, unterdrückt und abgestellt haben. Eine völlig volksfremde sich überschätzende Polizei, die in ihrem mißverstandenen Überwachungseifer überall freudestörend eingriff, wo die Herzen aneinander warm wurden, hat nur das Unerlaubte gefördert. ... Wo der rechte Weg verschlossen ist, muß das Volk auf Abwege durchbrechen.“

Wie war das noch beim fröhlichen Plündern und Zündeln, als die Herzen warm wurden, damals im Mai? Aber die deutschtümelnde Beschwörung „anständiger“ Volksfeste geht schon an den historischen Gegebenheiten völlig vorbei. Sittsamkeit gab's nicht mal im Mittelalter, da wurden die Feste gleich im Bad gefeiert, ohne Bikini und Tangslip.

Die hohen Herren wußten schon, warum sie die ausschweifenden Feste zeitlich und inhaltlich kontrollierten. Allen voran die Kirche als staatliche Macht, die heidnischen Jahreszeitenfesten ihre Heiligen und Kirchweihen überschob. Bei jedem Kirchweihfest wurde auch die Hochzeit Staat und Kirche gefeiert, denn anläßlich einer Kirchweihe repräsentierten auch die weltlichen Herren gern. „Die Feierlichkeiten der Kirchweihe brachte es mit sich, daß stets eine mehr oder minder große Zahl von Bischöfen, Äbten, Priestern und Volk zusammenkam. Damit aber bot sich die Kirchweihe geradezu als eine mögliche Gelegenheit an, den Platz des Herrschers im staatlichen und kirchlichen Bereich zu verdeutlichen und sichtbar zu machen“ („Untersuchungen zur politischen Bedeutung der Kirchweihe unter Teilnahme der deutschen Herrscher im Mittelalter“ von Karl Josef Benz).

Und als die Kirche auf die Sozialhilfe reduziert wurde und die Weltlichen die Bürger schröpften, da begann wohl das Zeitalter der abgezäunten Freizeitparks, wo das Volk ordentlich die Sau rauslassen, mal auf den Lukas hauen und sich fürchten durfte. Der Herrscher brauchte nicht mal mehr dabeizusein und konnte unbehelligt regieren. Denn „da sind schließlich auch Schausteller, die Betreiber von Achterbahnen, Schiffschaukeln, Geisterkellern und Raritätenkabinetten, die alljährlich Millionen von Bürgern etwas Abwechslung, bunte Unterhaltung, ein paar Gruselschauer und ein Quäntchen Irrealität in unsere nüchterne Welt bringen“ (Märkte, Messen, Ausstellungen. Gewerberechtliches Handbuch für Verwaltung und Wirtschaft. 1980. Kapitel „Die gesellschaftliche Bedeutung der Marktveranstaltungen“).

Was aber, wenn mehr Unterhaltung, Abwechslung und Raritäten jeden Abend im Fernsehen geboten werden? Zwar wissen die Bayern noch mit ihrem „Nationalfest“, dem Münchner Oktoberfest, zu feiern. Ein einfaches kleines Volksfest kann das nicht bieten. Die Aufgabe der Volksfeste haben die großen Spektakel übernommen, auf der Basis jahrelanger Planung und ökonomischer und bürokratischer Potenz. „Man wird nicht fehlgehen, an dieser Stelle zu erinnern, daß es letztlich großvolumige, mit der Moderne entstandene, politische Kräfte sind - Massenparteien und mobilmachende staatliche Instanzen - die derartige Entwicklungen ermöglicht haben; von den klassischen nationalen Festen, wie den Bismarckfesten in Deutschland, später den Maifesten der Gewerkschaften, den Aufmärschen und dem Pomp totalitärer Systeme führt hier ein Weg, den - was die erheblichen organisatorischen Mittel betrifft - die Festkomitees auch der offenen, pluralistisch verfaßten Gesellschaften gehen. Modernität: das heißt prinzipielle organisatorische Durchformung; sie trifft moderne Feste, so rauschhaft sie sich ausgestalten mögen, nicht weniger als den Bau eines Wolkenkratzers, den Betrieb eines Klinikums, die Planung eines Wahlfeldzugs.“ (Wolfgang Lipp. Stadt und Fest - Zur Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur. Stuttgart 1987) Während der Alltag systematisch unterwandert wird von inszenierten Räumen, Festivals, Messen, Happenings, Warenhaus und Werbung, erscheinen die alten Volksfeste wie kitschige, schmuddelige Reliquien aus der guten alten Zeit. Eine Achterbahnfahrt hat einen Anfang und ein Ende, die Geisterbahn schreckt keinen Sechsjährigen, horrorerprobt. Die wirklichen Schrecken lauern hinter der endlosen Benebelung, dem aufgezwungenen pünktlichen Orgasmus.

DoRoh