KOLIK AM WURSTBUNKER

■ Juhnke, Rostbratwurst und Fischstippe im Vergleich

Nein, von einem Voksfest kann man beim Lunapark nicht sprechen: Dafür fehlt einndeutig das Volk. Trotz höchst angenehmen Aprilwetters ziehen nur wenige Kita-Mannschaften mit ihren Trainern am Donnerstag nachmittag ihre Kreise um das Geisteramusement. Hier und da noch ein trauriges jugendliches Liebespaar, in der Hoffnung auf Abwechslung im grauen Beziehungsalltag, und versprengte Jungherren, meistens eine Mischung aus Götz George und Windei, die sich Thüringer Bratwürste unter den Bart schieben.

Nix los im Lunapark. Die Schausteller halten für alle Möglichkeiten ihre Geschäfte offen, doch die Stimmen aus den Lautsprechern der Losbuden klingen nicht einmal gelangweilt: „Achten Sie bei ihren Losen auf Berlin, denn das hier ist der Hauptgewinn“, schnarrt es, und ich fühle mich persönlich angesprochen, weil sonst kein potentieller Kunde zu sehen ist. Aber daß Berlin der Hautgewinn ist, wo es schon nicht mehr gesamtdeutsche Hauptstadt sein kann, daran glaube ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr. So gesehen, bringt der verlassene Frühjahrsrummel Berlins Situation auf den Punkt: Eine Konsum- und Touristenmaschine, die ihren Reiz aus der Erinnerung zieht: Harald Juhnke beschwört den schnittigen Unteroffizier, Katja Ebstein das freche Berliner Gör, der Lunapark die Feste des Volks, nur der Pandabär ist wirklich tot.

Was soll's - ich bin schließlich nicht zum Spaß hier, sondern um die Rummelspezialitäten zu testen. Als erstes wird die Grill-Hütte angelaufgen - schließlich ist die letzte kulinarische Innovation der Berliner die Currywurst, und darum unterstelle ich großes Können im Wurstmetier. Doch die georderte Rostbratwurst (3DM) im Brot erweist sich als Fehlschlag: Blaß sieht sie aus, an einigen Stellen halb angebräunt und im ganzen wenig durchgebraten. Da von der Konsistenz her fettig und wabbelig, hängt sie in der Mitte durch. Selbst der dick aufgetragene Senf verhindert nicht, daß der Geschmack wie ein Bombe im Gaumen explodiert. Hier schient jemand am kulinarischen Erstschlag jahrelang experimentiert zu haben.

Durch eine Tablette Bullrich-Salz (Kriegst du nichts mehr in den Hals, dann greife zu Bullrich-Salz) wieder instandgesetzt, ist das nächste Ziel die Süßwaren-Bude mit dem verlockenden Namen Die Spezialität. Ich halte mich an die traditionellen Genüsse eines Jahrmarkts: gebrannte Mandeln (2,80DM) und Lebkuchenherz (4,50DM) („Ich liebe Dich“ - das zieht immer). Die gebrannten Mandeln kenne ich noch aus der Kindheit, und mindestens ein Backenzahn mußte für diese Bekanntschaft büßen. Diesmal sind es die Brücken, die verdächtig knacken beim Verzehr - denn der Zuckermantel um die Mandeln erweist sich in einem Drittel der Fälle als nicht durchbeißbar. Auch draufspringen und gegen eine Wand schleudern hilft nicht. Das Lebkuchenherz hingegen ist zwar nicht locker und frisch, dafür schmeckt es aber tatsächlich nach Lebkuchen und kann auch ohne Spätfolgen für die Zähne gegessen werden (und wer liebt dich jetzt noch? sezza).

Die nächste Testreihe führe ich also an der Schlemmerlandbude durch. Fischbrötchen sind das A und O eines guten Jahrmarkts, hier gibt es sie zu kaufen. Ich entscheide mich für ein Seelachsbrötchen (2,50DM). Bekomme aber ein weiß-rotes, jenseits aller Definitionen liegendes Etwas. Es scheint, als hätten sich die unterschiedlichen Aromen von Fisch, Zwiebeln und Brötchen mit der Zeit durchdrungen und gegenseitig neutralisiert. Übrig bleibt ein feuchter Klumpen von mehliger Konsistenz, der nach durchweichtem Altbackenem schmeckt.

Während ich noch schlucke, schmelzt aus dem Lautsprecher vom Karussell gegenüber Elvis Preslys „Only you“, und der Losbudenansager verspricht für jedes Los einen Gewinn. Das nächste Mal geht es wieder in den lokalen Frittenbunker - da braucht man auch nicht 1,50DM Eintritt zu bezahlen.

höttges