„Die halbe Stunde bei Momper war viel zu kurz“

■ FDJ-Jugendgruppe aus Karl-Marx-Stadt auf Besichtigungstour in Berlin (West) / Abschluß eines einwöchigen Aufenthalts

Ganz frisch sind sie nicht mehr, die sieben Jugendlichen aus Karl-Marx-Stadt, die am Freitag nachmittag mit zwei Jungsozialisten durch Kreuzberg 36 ziehen. Sie haben auch schon ein ausgefülltes Tages- und nicht zuletzt Nachtprogramm hinter sich. Die FDJ-Jugendreisegruppe, die auf Einladung der Jusos eine Woche im kapitalistischen Berlin (West) verbrachten, besteht aus 20 Jugendlichen, Durchschnittsalter 22. Seit 1986 haben die Berliner Jusos es geschafft, daß der Landesverband Berlin in punkto Jugendaustausch mit der DDR so behandelt wird wie alle anderen Landesverbände in der Bundesrepublik. Seitdem reist einmal im Jahr eine Berliner Reisegruppe nach drüben, eine Gruppe DDR-Jugendlicher findet sich hüben ein. Daß es nicht mehr Gruppen sind, die Berlin besuchen, liegt, wie so oft, am Geld. Der Gastgeber zahlt nämlich im wesentlichen die Unkosten der Gäste, erklärt Andreas Bauch vom Landesvorstand der Jusos.

Am zweiten Tag ihres Besuchs gingen die Karl-Marx-Städter dem Regierenden Bürgermeister Momper einen höchst offiziellen Besuch abstatten. „Das war nur viel zu kurz“, bedauert Manfred. Eine halbe Stunde reiche einfach nicht aus, alle die Fragen zu stellen, die sie gerne von ihm beantwortet hätten, z.B. wie das mit den Koalitionsverhandlungen vor sich gegangen ist.

Ansonsten haben sie zu Beginn des einwöchigen Aufenthalts ein Gespräch mit dem Juso-Landesvorstand geführt, haben ein Seminar zum „Thema Antifaschismus in beiden deutschen Staaten“ hinter sich, eine Theateraufführung, eine Besichtigung des Nixdorf-Betriebs und der Zeitschrift 'Blickpunkt‘.

An die ungewohnte Aufmerksamkeit der Medien haben sie sich inziwschen gewöhnt und genießen sie wohl auch ein bißchen. „Das Schönste“, freut sich Manfred II sei ja gewesen, sich plötzlich am Dienstag zufällig am Kurfürstendamm gegrüßt zu sehen. Auf der elektronischen Wandzeitung prangte in Reisenlettern: „Berlin grüßt Karl-Marx-Stadt.“ Aber eine Pressemeldung wollen sie lachend dementiert wissen. Es sei keinesfalls so, daß sie vor lauter Programm nicht dazu gekommen seien, die 70DM auszugeben, die jeder für die Woche bei sich haben durfte. Das sei inzwischen fast ausnahmslos gelungen.

Den Morgen vor dem Kreuzberg-Bummel hatten sie dazu reichlich Gelegenheit, weil sie freien Ausgang hatten. In Kreuzberg wird das letzte Geld angelegt: Eine junge Frau ersteht noch schnell zwei Alf-Plüschtiere. Hier geht der Rundgang nach einer kurzen Außeninspektion der Neubauten am Kottbusser Tor in Richtung Ufer, weg von der Mauer, die nicht auf dem Besichtigungsporgramm steht. Juso Wolfgang gibt kurze Erläuterungen über Wohnungsspekulation, Leerstand und Besetzungen und läßt sie dann über den Türkenmarkt oder in der näheren Umgebung schlendern. Der Rest der Gruppe, der nicht mit uns läuft, ist unterwegs zum Prinz-Albrecht -Gelände bzw. spaziert durch den Chamissoplatz-Kiez. Im Jugendzentrum „Wasserturm“ sind sie zuvor von Kreuzbergs Bürgermeister in spe und Noch-Jugendstadtrat Günther König (SPD) zum Essen geladen worden. „Behaltet euch eure anti -imperialistische und antifaschistische Haltung!“ gab der ihnen u.a. mit auf den Weg.

Auf die Frage, was ihnen denn am wenigsten gefallen hat in der Stadt, zögern sie. „Die Wandschmierereien“, überlegt ein Manfred, fände er eigentlich nicht so schön.

Wenn es mehr Reiseerleichterungen gebe, antworten sie auf meine Frage, würde das bestimmt nicht dazu führen, daß mehr Leute abhauen - ganz im Gegenteil. Die zwei Manfreds, beide in der FDJ, machen jedenfalls nicht den Eindruck, als würden sie einen Westaufenthalt dazu benutzen, nicht zurückzukehren. Das gelte höchsten für solche etwa, die sich was haben zuschulden kommen lassen. Mit denen wollen sie offenbar nichts zu tun haben. Als vor einer Kneipe erläutert wird, sie gehöre einer ehemaligen DDR-Bürgerin und da verkehrten auch häufig Ex-DDRler, sagt ein Manfred bestimmt zum anderen: „Da gehen wir schon mal nicht unser Bier trinken!“

RiHe