Standbild: Reporter der Seele

■ Der Narr von Wien. Aus dem Leben von Peter Altenberg

(Der Narr von Wien. Aus dem Leben von Peter Altenberg. Do., 6.4., 22.55 Uhr, ZDF) Ein schöner Film. Episodenhaft skizziert. Schauplatz: das Wien der Sezession. Mit Karl Kraus, Alfred Polgar, Egon Friedell, Alfred Loos und ihrem Schützling: Peter Altenberg. Er „ist ein Genie der Nichtigkeiten, ein seltsamer Idealist, der die Schönheiten der Welt wie Zigarettenstummel in den Aschenbechern der Kaffeehäuser findet“, schrieb Franz Kafka. Der Dichter als Momentphotograph in einer Gesellschaft, die ihm Narrenfreiheit gewährt, weil er sie amüsiert. Ein Bohemien war er, ein Trinker. Ein Betteldichter, der sich durch die Gesellschaft schnorrte, wundersamerweise aber ein Vermögen von 100.000 Kronen hinterließ. Altenbergs Texte beschreiben authentische Situationen; John Goldmann setzt sie szenisch um. Reflexionen und Betrachtungen werden zur wörtlichen Rede. Als Richard Engländer wurde Altenberg am 8.März 1859 in Wien geboren. Einen bürgerlichen Beruf hatte er nie, er war „Dichter, ohne Dichtungen hervorzubringen“ (P.A.). Tatsächlich lassen sich diese kurzen stürmischen Texte schwerlich als Dichtungen bezeichnen. Er selbst sprach von „schwerverdaulichen Extrakten, die sich der Leser selbst verdünnen muß“.

Er verehrte die Frauen wie Göttinnen. Sehr treffend zeigt dies eine Szene, in der Kurt Sowinetz als Peter Altenberg in einem Damenkränzchen mit den Worten empfangen wird: „Wir sind ganz unter uns.“ Die Wände seines Zimmers im Graben -Hotel hatte er mit Postkarten tapeziert, die zumeist nackte Mädchen und Frauen zeigten. Diese Sammelleidenschaft ließ sich Goldschmidt nicht entgehen, wie er überhaupt manchmal nur von einer Anekdote zur anderen springt. Den Exzentriker Altenberg trifft er ausgezeichnet mit dieser Methode, der stille und melancholische Dichter allerdings wird schlicht geleugnet. Die abgöttische Liebe zu seinen Eltern. Die Erinnerung an seine Kindheit. Die Gewißheit des Paradieses. Fehlt diese Information, könnte man die Kinderverehrung des Alternden für bloße Pädophilie halten. Schade auch, daß nur der Kaffeehaus- und Etablissement-Altenberg gezeigt wird, nicht der Naturliebhaber: „Ich habe zu meinen zahlreichen unglücklichen Lieben noch eine neue hinzubekommen - den Schnee. Er erfüllt mich mit Enthusiasmus, mit Melancholie. (...) Ich will ihn betrachten, betrachten, betrachten...“ (P.A.). Dies alles verleitet fast dazu, diesen so leise ironischen, charmanten Film als Aufmacher zu bezeichnen, zumal hin und wieder Fakten dramaturgisch wirkungsvoll verdreht werden. Seine Sanatoriumslaufbahn verlief zum Beispiel nicht ganz so drastisch wie gezeigt.

Versöhnt wird man erst wieder durch den Schluß. Nicht Siechtum und Tod, sondern ein Altenbergscher Abgang: laut schimpfend raus aus der feinen Gesellschaft, aber dem Dienstmädchen einen achtungsvollen Kuß auf die Stirn gedrückt. Das letzte Bild schließlich zeigt, wie das erste, die Flugversuche des Dichters, die er nach einem Gerücht im Morgengrauen öfter unternommen haben soll. Vielleicht sind es ja auch die Flugversuche des Regisseurs, der damit die Grenzen der Authentizität in einem Spielfilm zu erkennen gibt.

Petra Kohse