Schamirs jüdische Opposition in den USA wird stärker

Prominente amerikanische Juden und Jüdinnen empfingen Israels Premierminister bei seinem Besuch in Washington mit einer halbseitigen Anzeige in der 'New York Times‘:  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

„Im Namen Zions, wir werden nicht schweigen!“ Diesen Vers des Propheten Jesaiah wählte sich 1973 eine kleine Gruppe US -amerikanischer Juden zum Motto, als sie die Organisation „Breira“ gründeten. Das hebräische Wort Breira bedeutet soviel wie „Alternative“, die Organisation gleichen Namens wollte einen Gegenpart zu den großen, lang etablierten jüdischen Organisationen mit ihrer unkritischen Israelhörigkeit herstellen und eine Alternative für diejenigen bilden, die eine gewaltlose Verhandlungslösung des Palästinakonflikts suchten. Aber Breira scheiterte an der Macht des jüdischen Establishments, das die Gruppe als „jüdische Sprecher der PLO“ denunzierte, und löste sich 1977 wieder auf.

Die gewalttätigen Repressionsmaßnahmen der israelischen Regierung seit dem Beginn des palästinensischen Aufstandes in den besetzten Gebieten kamen dann noch stärker ins Kreuzfeuer der öffentlichen Meinung. So war es nur ein weiterer Schritt in der wachsenden Entfremdung zwischen der von Jizchak Schamir geleiteten Regierung Israels und der jüdischen Bevölkerung in den USA, daß Schamir zu Beginn seines Washington-Besuchs mit einem unmißverständlichen Appell prominenter jüdischer Intellektueller konfrontiert wurde. In einer halbseitigen Anzeige in der 'New York Times‘, die mit den Worten „Nein, Mr.Schamir“ überschrieben war, forderten sie den israelischen Ministerpräsidenten auf, Verhandlungen mit der PLO aufzunehmen. „Millionen amerikanischer Juden empfinden Ihre Politik als unmoralisch, als in direktem Widerspruch zu den besten jüdischen Traditionen stehend und als destruktiv für die besten Interessen Israels und der amerikanischen Juden“, heißt es in dem Appell, der unter anderem von den Autoren Woody Allen, Allen Ginsberg, Irving Howe, Philip Roth und Arthur Miller, den Feministinnen Betty Friedan, Grace Paley und Marge Piercy und den Journalisten Carl Bernstein und I.F. Stone unterzeichnet wurde. Schamir solle sich damit abfinden, daß am Ende von Verhandlungen mit der PLO ein palästinensischer Staat stehen könnte. „Viele amerikanische Juden, loyale Unterstützer Israels, sind mit der Unterdrückung des palästinensischen Volkes und der fortgesetzten Okkupation der Westbank und des Gaza-Streifens nicht einverstanden“, fährt der Text fort. An die Adresse Schamirs heißt es im übrigen: „Sie haben keinen Blankoscheck der amerikanischen Juden, mit dieser Politik fortzufahren.“

Was die Anzeige ungewöhnlich macht, ist weniger ihr Inhalt als der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung, der von Schamir -Unterstützern als Affront gegen den israelischen Ministerpräsidenten angesehen wird. Die mehr als sechs Millionen jüdischen US-BürgerInnen, so haben Meinungsumfragen in den letzten Monaten gezeigt, stehen weiter links als die Wählerschaft Israels. Etwa zwei Drittel von ihnen unterstützen die Positionen der israelischen Arbeiterpartei oder gar der israelischen Friedensbewegung und anderer, noch weiter links stehender Gruppen. Doch wer nur die Verlautbarungen der großen jüdischen Organisationen studiert, wird davon wenig feststellen können. Gruppen wie die einflußreiche und eher konservative „Konferenz der Präsidenten wichtiger jüdischer Organisationen“ beanspruchten lange Zeit ein Monopol, wenn es um öffentliche Erklärungen ging. So wie sich zaghafte Stimmen regten, die die Politik der israelischen Regierung kritisierten, ging ein koordinierter Bannstrahl des jüdischen Establishments in den Vereinigten Staaten und der Regierung in Jerusalem auf sie nieder.

Einige israelische Politiker sprachen ihren amerikanischen Kritikern schlicht das Recht ab, eine Meinung zu äußern. So mußte sich beispielsweise der liberale Rabbi Alexander Schindler von Begin vorwerfen lassen, er sei „mehr Amerikaner als Jude“, als er nach den von Israel geduldeten Massakern in den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Chatila die Entlassung des verantwortlichen Verteidigungsministers Ariel Scharon forderte. Die Sprecher des jüdischen Amerika, so prophezeite Schindler damals, würden sich nicht länger als „Kühe“ benutzen lassen, die man melken könne, damit sie Israel finanzielle und moralische Unterstützung geben. „Die offene Kritik wird weitergehen und sich verstärken“, so Schindler. Verstärkt hat sie sich insbesondere durch Schamirs unerbittliche Haltung gegenüber der palästinensischen Intifada, die sich immer wieder ihren Platz in den Schlagzeilen und Fernsehnachrichten in den USA zurückerobert. Der liberale Flügel der jüdischen Bevölkerung der USA, bislang reduziert auf prominente Einzelpersonen, beansprucht zaghaft einen seiner zahlenmäßigen Stärke angemessenen Platz im Dialog mit Israel und beginnt nach eigenen Organisationsformen zu suchen.

Die Anzeige in der 'New York Times‘ war da nur ein erster Schritt, so ihr Initiator Michael Lerner am Dienstag vor der Presse. Lerner, ein 46jähriger Psychologe und nach eigener Aussage „Aktivist für sozialen Wandel“, ist der Kopf hinter einer der interessantesten neuen Zeitschriften der letzten Jahre: dem jüdischen Debatten-Organ 'Tikkun‘. Auch 'Tikkun‘ ist ein hebräisches Wort, es heißt „heilen, reparieren und die Welt verändern“. Lerner sieht im politischen Aufbruch progressiver Juden in den USA eine Chance, eine positive Neubestimmung ihrer sozialen und religiösen Identität zu versuchen, 'Tikkun‘ soll das Organ dafür sein und gleichzeitig als „Fokus“ für alle dienen, die mit der Politik der etablierten Israel-Lobby unzufrieden sind. „Wir, die Israel lieben, müssen unsere Kritik an seiner Politik zu Gehör bringen“, meint Lerner, denn sonst bestehe die Gefahr, daß eine solche Kritik zum Vehikel für antisemitische Gefühle werde. Vom Kongreß oder der Bush-Administration sei nicht zu erwarten, daß größerer Druck auf Schamir ausgeübt werde.