Fünf Dörfer kämpfen gegen ein Nato-Flugzeug

Der NATO-Flugplatz Pferdsfeld im Hunsrück soll erweitert werden, damit ein neues Spionageflugzeug stationiert werden kann / Drei Dörfer fielen schon dem Bau des Flugplatzes zum Opfer / Die Einwohner proben den Widerstand  ■  Von Miriam Carbe

Sobernheim (taz) - An die Gemeinde Pferdsfeld erinnern heute nur noch ein Bauernhaus und ein Friedhof. Von Eckweiler ist die Kirche übriggeblieben. Dort, wo Rehbach einmal war, steht heute ein Gedenkstein. Die drei Hunsrück-Dörfer wurden in den sechziger und siebziger Jahren umgesiedelt, als erst das Flugzeug Fiat 691 und dann der Kampfbomber „Phantom“ auf dem wenige Hundert Meter entfernten Nato-Flugplatz Pferdsfeld stationiert wurden. Der Lärm beim Starten und Landen der Maschinen machte das Wohnen in den Dörfern unerträglich.

„Damals haben wir den Kampf verloren“, sagt Robert Nicolay, der in dieser Gegend groß geworden ist. Immer wenn er am Rehbach-Gedenkstein vorbeifährt, hinter dem die hohen gelben Leuchtpfosten der Landebahn in den Himmel ragen, packt ihn die Wut: „Die Rehbacher haben damals einen Hungerstreik gemacht und schwarze Fahnen aus dem Fenster gehängt. Es hat alles nichts genützt.“ Die meisten zogen nach Sobernheim, den nächsten größeren Ort. Nur eine Handvoll Landwirte ließ sich im einige Kilometer entfernt errichteten Neu-Rehbach nieder. Damals versprach man ihnen, daß dies das letzte Opfer sein würde, das sie der Landesverteidigung zu bringen hätten.

Dieses Versprechen soll jetzt gebrochen werden. Das Verteidigungsministerium will das Flugplatzgelände erweitern, um Platz für eine neue Errungenschaft der Luftwaffe zu schaffen: die Egrett1, der sogenannte „Silberreiher“, ein Spionageflugzeug mit einer Spannweite von 37 Metern. Die Flughafenrandgemeinden erfuhren im April vergangenen Jahres von der geplanten Stationierung.

Das Forstamt hatte gerade aufwendige Pläne zur Aufforstung der kahlen Flächen, die jetzt die ehemaligen Dörfer kennzeichnen, entworfen. Dann intervenierte die Bezirksregierung: Die Flächen seien anderweitig verplant. Die Geschichte vom „äußerst leisen Aufklärungsflugzeug, das keine zusätzliche Fluglärmbelastung bringen wird“ (Verteidigungsministerium), beruhigte die Bürger nicht.

„Das letzte bißchen Lebensqualität“

Eine „Notgemeinschaft“, wie es sie auch vor den Umsiedelungen gegeben hatte, wurde gegründet. Ihr gehören die Bürgermeister der fünf umliegenden Dörfer und Robert Nicolay an, der als Pressesprecher fungiert. Sein Vater hatte in den siebziger Jahren die Bewegung gegen die „Phantom„-Stationierung angeführt. „Das, was wir jetzt machen, ist kein Nachgeplänkel“, betont Nicolay. „Wenn die Egrett1 hier stationiert wird, geht das letzte bißchen Lebensqualität verloren.“

Die Stationierung der Egrett1 würde zu noch mehr Manöverübungen auf dem Flugplatz führen. „Die brisanteste Neukonstruktion der Waffenindustrie“ (Nicolay) soll aus einer Höhe von bis zu 17 Kilometer tieffliegende Kampfbomber lenken. „Wenn das technisch möglich ist, wird das auch ausprobiert.“ Die Bundesregierung würde nicht eine knappe Milliarde für ein High-Tech-Gerät ausgeben, um damit das Wetter beobachten oder Fußballspiele übertragen zu lassen. Würde der Flugplatz für die Egrett1 erweitert, dann stünde Neu-Rehbach wieder genauso nah am Militärgelände wie damals Rehbach.

Eine erneute Umsiedelung wäre für die Bevölkerung schon rein finanziell eine Katastrophe. „Wir haben damals nach der Umsiedelung unterschrieben, daß wir keine Ansprüche mehr an die Bundesregierung stellen“, berichtet Nicolay. „Das war, als es noch hieß, hier kommt jetzt weiter nichts mehr hin.“ Außerdem wäre eine Umsiedelung ein erneuter Rückzug in eine noch tiefere Resignation. „Hier gibt es doch nichts“, sagt Nicolays Frau Claudia: „Hier ist kulturell nichts los. Abends ist die Gegend tot. Das einzige, was man hier genießen kann, ist die schöne Landschaft, und die wollen sie noch mehr kaputt machen.“

Früher war hier abends mehr los. Der 60jährige Bürgermeister von Daubach, Erich Ritter, erinnert sich gerne an die beiden Kneipen, in der die Bewohner der umliegenden Dörfer sich abends trafen. An Wochenenden wurde getanzt. Nach der Umsiedelung konnten sich die Gaststätten nicht mehr halten. Auch in den nicht umgesiedelten Dörfern in Flugplatznähe sinkt die Einwohnerzahl. Die „Phantom„ -Kampfbomber üben abends bis 23 Uhr. Manchmal setzt ein verspäteter Flieger erst um Mitternacht auf.

Wenn die 18 Egretts kämen, dann wären auch die Wochenenden nicht mehr ungestört. Die „Phantom„-Piloten rasen am Freitag abend gen Heimat. Die Egrett-Lenker sollen auch samstags und sonntags über die Dörfer fliegen - rund um die Uhr. Dieter Trapp, Ortsbürgermeister von Winterburg und ebenfalls Mitglied der „Notgemeinschaft“, sieht voraus, daß dann auch das letzte größere Hotel des Ortes pleite gehen würde. Wegen der Fluglärmbelästigung unter der Woche hatte es von Langzeiturlaub auf Naherholung für die Wochenenden umgestellt.

Die „Notgemeinschaft“ weiß die Bevölkerung hinter sich. Mit Festen (z.B. die „Zwei-Jahre-unfallfreies-Fliegen„-Feier) und Wanderpokalen versucht die Bundeswehr, die Dorfbewohner freundlich zu stimmen. Aber die haben die Kriegsspiele satt. Bei Abstimmungen sprachen sie sich geschlossen gegen die Erweiterung aus. Warum das Flugzeug ausgerechnet in ihrer Nato-gebeutelten Gegend stationiert werden soll, ist offen. Die vagen Lobbyismus-Thesen der Bürger dementierte das Bundeskanzleramt mit noch vageren Auskünften: „Die Stationierung ist aus verteidigungspolitischen und operationellen Gründen erforderlich.“ Ende März kündigte sich von unerwarteter Seite Hilfe an. Der rheinland -pfälzische Innenminister Rudi Geil (CDU) empfing die „Notgemeinschaft“ zu einem Gespräch. Er identifiziere sich mit den Problemen der Region, erklärte er, und wolle dem Kabinett die Argumente der Erweiterungsgegner nahebringen. Noch vor der Kommunalwahl am 18.Juni, versprach der Minister nicht ganz selbstlos, wolle er seine Entscheidung fällen. Das letzte Wort hat zwar der Verteidigungsminister, aber gegen den Willen der Landesregierung hätte die Hardthöhe es schwer, eine Stationierung durchzusetzen.

Irokesen im Hunsrück?

Falls alle legalen Stricke reißen, will sich die „Notgemeinschaft“ trotzdem nicht geschlagen geben. Notfalls sind die Hunsrücker bereit, zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen. Bürgermeister Ritter beispielsweise erinnert sich voller Bewunderung an einen kleinen Indianerstamm im brasilianischen Regenwald, von dem er in der Zeitung gelesen hat. Die Indianer hatten sich aus Protest gegen die Abholzung ihres Regenwaldes die traditionell langen Haare kurz scheren lassen. „Immerhin“, so Bürgermeister Ritter, „ging die Nachricht um die Welt.“