: Mit „Zahnstochern“ gegen die Ölpest
■ Zwei Wochen nach der Tankerkatastrophe vor Alaska wehen die Fahnen auf Halbmast
Zwei Wochen nach dem großen Crash will Präsident Bush Soldaten nach Alaska schicken, die im aussichtslosen Kampf gegen die Ölpest mithelfen sollen: „Packen wir's an.“ Die Ölgesellschaften Shell und Chevron haben unterdessen ihre Benzinlieferungen an die Großhändler leicht reduziert, um ein Horten des Treibstoffes zu verhindern. Während sich die Öl-Multis auf eine längere Schließung der Alaska-Pipeline einrichten, breitet sich der Ölteppich im Prince-Williams -Sund unaufhaltsam aus.
Alle Versuche, die Ölpest im Prinz-Williams-Sund vor Alaska zu bekämpfen, sind aussichtlos. Jim Hayden, der Sonderbeauftragte des Staates Alaska, schüttelt resigniert den Kopf. Nur die Meeresströmung, Wind und Wellen könnten im Laufe der Zeit damit fertig werden. Monate, Jahre, vielleicht ein Jahrzehnt wird es dauern, bis die letzten Spuren des großen Crashs getilgt sind.
Der Ölteppich, der jetzt 6.700 Quadratkilometer groß ist das ist die dreifache Fläche des Saarlandes -, erreichte am Donnerstag die Ufer des Nationalparkes Kenai Fjord. Dort wurde in der allgemeinen Hilflosigkeit der Ausnahmezustand ausgerufen. Ein Fischer beschrieb die Situation präzise: „Wenn es dich trifft und das Öl kommt, dann ist die Chance, dich dagegen durch Säuberungsmaßnahmen zu wehren so, als wenn Du Erbrochenes mit dem Zahnstocher aufsammeln willst.“
Minutiös haben die Beamten der „National Oceanic Administration“ die Ausbreitung des Öls aufgezeichnet. Nach ihren Schätzungen können durch den ununterbrochenen Einsatz der vielen freiwilligen und professionellen Helfer etwa vier Prozent des Öls beseitigt werden. Ein Mitglied des 20köpfigen Gremiums spricht unverhohlen von „kosmetischen Maßnahmen“.
John Lyman, der Sprecher der Fischereibehörde Alaska, griff in dieser Woche zur Videokamera, um „all diese erschütternden Szenen“ an den schlimmsten Küstenabschnitten des Prince-William-Sundes einzufangen. Um sich auszuruhen, hatte er seine Videokamera auf einem schwarzen Stein abgestellt. Wenige Augenblicke später begann dieser „Stein“ zu krabbeln - es war ein Seevogel, der mit asphalthart gewordenem Öl überzogen war. Einer von mehreren tausend Vögeln, die den ausgelaufenen 40 Millionen Litern Rohöl aus dem geplatzten Supertanker „Exxon Valdez“ bisher zum Opfer fielen.
Ausgelaufenes Öl oder Öl-Schlick sind eigentlich untaugliche Begriffe für die würgende schwarze Masse, die jetzt das Wasser bedeckt. Wie eine Pest hat sich die Ladung der „Exxon Valdez“ in den letzten zwei Wochen an den Küsten der Inseln ausgebreitet, hat die Heimat von Walen, Ottern, Robben, Seelöwen und Millionen von Fischen und Seevögeln, die sich hier bei ihrer Frühjahrs-Zusammenkunft versammeln, geschwärzt.
Aber es geht schon lange nicht mehr nur um die geschundene Natur, symbolisiert durch ölverklebte Vögel, die in der trägen schwarzen Soße ihrem Tod entgegenhoppeln. Mit dem in dieser Woche ausgesprochenen Fischerei-Verbot für Heringe ist schlagartig klargewordenen, wie tiefgreifend die Auswirkungen der größten Tankerkatastrophe der USA sein werden. John Devens, Bürgermeister von Valdez, hat das Unglück als „das Ende der Welt, wie wir sie hier kannten“ beschrieben. „Es gibt kein einziges Element unseres weitverzweigten ökonomischen Systems, das von dieser Katastrophe unberührt wäre.“ Dies sei nicht nur ein Desaster für unsere Umwelt, sondern für alle Industrien, die von diesem Stück Natur abhängen und für alle Bürger, die ihr Auskommen mit ihren Reichtümern sichern.
Die 3.000 Einwohner von Cordova, einem Städtchen 30 Kilometer von der Unglücksstelle entfernt, sind fast vollständig von der Fischindustrie abhängig. Jetzt glauben viele, daß ihre Art zu leben endgültig vorbei ist. Diese Woche wurden die Fahnen in dem Ort demonstrativ auf Halbmast gesetzt und ein rotes Plakat angebracht: „Für den Tod unserer Ressourcen“. Kleine Städte wie Cordova, seit vier Generationen Fischereihäfen, fühlen sich schon jetzt vergessen und alleingelassen mit der Katastrophe. Die gebetsmühlenhaften Erklärungen des Exxon-Konzerns, für alle Schäden aufzukommen, können hier niemanden trösten, weil sie niemand glaubt. Deckshelfer Scotty Reed: „Unsere Stadt wird sterben. Valdez hat das Öl-Terminal, aber wir haben nur unsere Fische.“ Die Fischer von Cordova sind Grüne. Sie sind Grüne von Berufswegen.
Der Einwohnerin Charlotte Legg fällt nur noch der Kennedy -Mord ein, wenn sie an die Tankerkatastrophe denkt. „Damals war ich ein Kind, meine Mom kam herein und sagte, unser Leben wird sich jetzt verändern. Und jetzt habe ich dasselbe Gefühl. Wir sind extra hierher gezogen, um von dem ganzen Mist in den USA wegzukommen. Jetzt hat er uns eingeholt.“
Exxon-Manager Don Cornett hat die Fischer aus sicherer Distanz um Vertrauen gebeten. Doch wenn er diese Botschaft in den Straßen von Cordova verkünden würde, könnte ihm schnell ein häßlicher Unfall zustoßen. Nicht umsonst wird die Exxon-Zentrale im Westmark-Hotel von Valdez von schwer bewaffneten Wachen abgesichert.
In Valdez trifft man eher auf „gemischte Gefühle“. Ärger und Schrecken der Einwohner sind gepaart mit Schuldgefühlen. Valdez ist mit der Öl-Industrie aufgeblüht, und manche Einwohner sehen jetzt ihre eigene Empörung auch als ein Stück Verrat an den Kontrakten mit der Öl-Industrie. Ein paar Halbstarke sind verärgert: „Was soll denn das ganze Theater?“ Und einer fügt bitter hinzu: „Jetzt haben die Umweltschützer wieder ihren großen Tag. Und für die, die es immer schon gewußt haben, ist jetzt Weihnachten.“ Ganz anders der Fischer Jim Brown, der Lachse jagt, das berühmte Gold Alaskas: „Wir hatten hier immer eine gute Umwelt. Es ist, als wären wir verletzt worden.“
Wie „gut“ diese Umwelt tatsächlich war und wie reichhaltig ihre Fauna, wird in den nächsten Wochen unübersehbar werden. Dann wird im Prinz-Williams-Sund mit der Ankunft von zehn Millionen Arktisschwalben, Trompeten-Schwänen, Wassertretern und anderen Vögeln gerechnet, die im Süden überwintert hatten. Auch eine Million Enten und Gänse kommen dann in ihr ölverklebtes Quartier und die Finn- und Buckelwale. Den Walen traut man zu, daß sie nicht in die Falle des Sundes tappen, weil das Öl frühzeitig ihre Haut reizt. Doch viele andere Tiere werden, von sicheren Instinkten geleitet, direkt hineinschwimmen und -fliegen - mitten ins Natur -Paradies.
Der Prince-Williams-Sund, so steht es in den einschlägigen Reiseführern, bietet Naturschauspiele, „die nur wenige Besucher jemals vergessen werden. Es ist eine faszinierende Wildnis von Inseln, Lagunen, Fjorden, hoch aufragenden Bergen, einer beeindruckenden Küste und einem der faszinierensden Gezeitengletschern mit gigantischen Eisbergen, die in einer Explosion aus Eis und Wasser ins Meer donnern.“
Manfred Kriener / John Merritt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen