Spinner im Nebel

Drei Stunden Dauergestampfe am Samstagabend im Schlachthof: „Psychic TV“ mit acid house music vom Band. Mehr als grelles Licht war nicht zu hören  ■  Von Jürgen Francke

Was wurde ihnen nicht alles angedichtet. Von exzessiven Gewaltshows auf der Bühne war die Rede, von unvorhersehbaren musikalischen Stilbrüchen - und eben von acid house music. Diese elektronische Endlos-Aneinanderreihung von Rhythmen, stakkatoartigen Sangesfetzen und Misch-Masch-Akkorden war auch im Gespräch. Doch genaues wußte niemand.

Über das Konzert der englischen Formation Psychic TV am Samstag im Schlachthof viele Worte zu verlieren, verbietet sich eigentlich von selbst. Was war passiert? Wenig.

Zunächst gab es eine Menge Nebel. Schon wieder Trockeneis. Grellrote Blitze durchzuckten die milchigen Schwaden, zuweilen abgelöst durch blendend

weiße Schmerzattacken auf die Netzhaut. Während hinter den Schleiern ein nicht enden wollendes Intro vom Band wie ein sporenbehafteter Bandwurm durch den Gehörgang kroch, stand das unbewegliche Publikum da und kniff verstört die Augen zusammen.

Als sich nach dieser quälend langen Eingangssequenz die Wolken senkten und schemenartig die Konturen der Musikanlage auf der Bühne erkennbar wurden, geschah das Unerwartete. Nebel. Dichter als zuvor. Nichts war zu erkennen, nur der immer gleiche nervtötende Beat vom Band schaffte die Illusion eines Live-Konzertes. Denn Beobachter, denen das Privileg des Zugangs zum back-stage-Bereich zuteil wurde, berichteten von leibhaftigen Menschen auf der Bühne. Eine arme Pantomime am

Schlagzeug tippte verloren auf dem Hi-Hat, während die Bandmaschine das eigentliche Rhythmusgeschehen diktierte. Hin und wieder, aus unerklärlichen Gründen lichtete sich für Sekunden die Nebelwand, hampelte eine junge lederbestrapste Turmfrisurfrau am Kassettenrekorder und wechselte dauergrinsend das Bandmaterial.

Es hörte nicht auf. Das Endlosgedudel krallte sich in den Ohren fest und ließ nicht mehr los. Wer sich ganz nah an den Bühnenrand wagte, wurde sogar des reich verzierten Frontmannes angesichtig, Gen P. Orrigde. Parolen verkündend keuchte er sich durch die Nebelwand und verkultete sich nach Leibeskräften. Zu den besonderen künstlerischen Effekten seines Auftritts gehörten Taschenlampen, die er am Bande über seinen Kopf

schwang. Nach knapp drei Stunden Maschinengestampfe durften sogar einige BesucherInnen neben einer Gruppe von Sektenjüngern, die die Band ständig begleiten, auf der Bühne mitstampfen. Im diffusen Licht schaukelten ihre Körper marionettengleich über die Schlachthofbretter, sie hätten wohl auch weitere drei Stunden durchgehalten.

Lange nach Mitternacht wurde dem Gebolze endlich ein Ende gemacht und das Publikum ins Wochenende entlassen. Nicht so der Reporter. Er wartete entnervt vor der Garderobe auf Einlaß, es galt, ein kurzes Gespräch mit dem Guru zu führen. Daraus wurde nichts. Huldigungen erwartend statt kritischer Fragen, blendete er mit einer ultrahellen Stablampe in müde Gesichter und dankte das geduldige Harren mit den Allüren eines Spinners. Ein unmißverständliches piss off ließ den Schreibblock wieder einpacken, das war's. Psychic TV braucht nicht wiederzukommen.