VILLA SCHILLAS RÄUBER

■ Exbesetzerdrama vor dem Richter

Jeden Freitag gibt es Senfeier. Aber diesmal gab es sie nicht in der Postkantine, sondern vor dem Landgericht am Tegeler Weg. Der Vorsitzende Richter der 22. Zivilkammer hatte die Bewohner der „Villa Schilla“, ein ehemals besetztes Haus in der Charlottenburger Schillerstraße, zum Menue mit blasser Beilage geladen. Wegen hausinterner Streitigkeiten stand „Beleidigung und tätlicher Angriff“ auf einen Mitbewohner durch einen anderen, auf der Tageskarte.

Auf einer Hausversammlung des Vereins „Villa Schilla“ im Februar 1989 hatte der Beklagte einem Mitbewohner den Inhalt einer Tüte Mehl über Kopf und Kragen geschüttet und dazu erklärt: „er werde ihn nicht einmal mehr mit seinem Arsch angucken, geschweige denn, seine Sütterlinkralle drücken oder gar seine Senfeier schütteln“. Der bemehlte und so arg gescholtene Studienrat rannte damit sogleich vor den Kadi. Der Kadi sagte: „Sowas hatten wir hier noch nicht“, und meinte natürlich nicht die Senfeier, sondern die zahlreich im Gerichtssaal anwesenden Bewohner der Villa Schilla. Die hatten nämlich inzwischen damit begonnen mithilfe von „Signetten des Treppenhausbesetzers Dr. Sud“ den Gerichtssaal in einen offensiven Kunstraum zu verwandeln. Zwei Schritte vor den Schranken des Gerichts war der „Selbsthilfe-Tender mit Gemeinschaftshammer“ placiert. Ein von den Bewohnern der „Villa Schilla“ als Symbol für die Berliner Selbsthilfe-Bewegung entwickeltes plastisches Bildzeichen. Ein auf einem Wägelchen stehender Hammer, dessen Stiel sich gabelt, so daß der Hammer von mehreren Händen bewegt werden kann. Daneben der „Verirrte KOB“, der ratlos seinen gummibereiften Diensthund hinter sich herziehend an einer Reihe von merkwürdigen Verkehrsschildern vorbeigeht. Eins von ihnen weißt in die Richtung „Utopia“. Und dicht daneben dann noch der altchinesische „Richter DI“, der in die Lektüre der taz vertieft ist. Von diesen Figuren überrascht, schrie der bis dato aktenblätternde Richter plötzlich: „Es geht nicht, es geht nicht, hier ist doch kein besetztes Haus.“

Aber genau das, das sie Hausbesetzer waren, wollten die Bewohner der „Villa Schilla“ zum Ausdruck bringen. Ihrer Meinung nach ist dieser Beleidigungsprozeß nur ein Glied in der Kette, das bislang offene und unbefangene Leben in diesem Haus auf das Niveau eines stinknormaler Mietshauses, in dem außer Isolation nichts läuft, herunter zu stutzen. Dem klagenden Studienrat paßt die ganze Richtung nicht, meint die überwiegende Mehrheit der Bewohner. Der Konflikt ist alt. Bereits in der Sanierungsphase Anfang der 80er Jahre, als die Besetzer das Haus in Selbsthilfe instandsetzten, war der Studienrat schon ständig Anlaß zu ernsthaften Konflikten. So versprach er zwar immer entschieden, sich an den Sanierungsarbeiten zu beteiligen, löste aber sein Versprechen äußerst dürftig ein. Trotzdem gaben ihm die Besetzer die von ihm beanspruchten zwei Räume. Seit jenen Tagen läuft der Konflikt Studienrat kontra Hausmehrheit unvermindert. Die Bewohner werfen ihm vor, daß er zwar die Vorteile einer preiswerten Wohnung nutzt, aber das Selbsthilfekonzept der Bewohner nicht unterstützt. Für die Bewohner, ihrem Selbstverständnis nach alle künstlerisch tätig, bedeutet das Konzept, daß aus dem Zusammenleben heraus auch noch nach außen zu tragende gemeinsame Kunstprojekte entstehen. Denn die „Villa Schilla“ versteht sich nicht nur als Bauselbsthilfegruppe, sondern auch als künstlerischen Selbsthilfeversuch.

Wie schon erwähnt, zeigte der Kadi für das alles wenig Verständnis und machte, wie dort so üblich, kurzen Prozeß. Dem Studienrat darf fortan nicht mehr die Sütterlinkralle gedrückt und schon gar nicht mehr die Senfeier geschüttelt werden. Ob er jetzt stattdessen mit dem Arsch angeblickt werden darf, lies das Gericht offen.

Offen bleibt damit aber auch, wann die nächste Gerichtseinladung fällig und wie das Menue dann zusammen gesetzt ist. Den Hausbewohnern stinkt es, Konflikte im „Verein Villa Schilla“ mittels Gerichtsverhandlungen auszutragen. Zwar ermöglicht die Satzung des Vereins den Ausschluß des Studienrats mit Zweidrittelmehrheit zu erwirken, „aber dann“ so ein Bewohner, „zerrt er uns schon wieder vor den Kadi. Und das wollen wir nicht, wir sind damals nicht nur gegen die Bauspekulanten angetreten, sondern haben auch für billigen Wohn- und Arbeitsraum für unabgesicherte Künstler gekämpft. Zu diesem Selbstverständnis gehört für uns auch, abseits von staatlich vorgestanzten Normen zu leben und zu arbeiten. Es stellt sich die Frage, wie in Zukunft die Selbsthilfeprojekte in der Stadt sich wirksam vor hausinternen Ausbeutern schützen können.“ Gerichte, so meinen die Bewohner, sind ja wohl die letzten, die in ehemals besetzten Häusern und Selbsthilfeprojekten herumwerkeln sollten.

me-ti