IM WEISSEN ELFENRAUSCH

■ Debroah Henson-Conant-Trio im Badenschen Hof

Kurz vorm weißen Rauschen, das den Fern-Seher in den Schlaf wiegt, gibt es im dritten Programm jede Nacht die Schrifttafeln, seit Jahren nun schon mit der gleichen Musik unterlegt: Andreas Vollenweider und seine Harfe. Dieses wohlige Zirpen, dieses Gleiten durch die Saiten, entweder es macht einen wahnsinnig wegen seiner penetranten Sanftheit, oder man schläft sofort ein. Am Wochenende hatte man nun die Gelegenheit, ein wenig hinter die Geheimnisse dieses betörenden Instruments zu blicken.

Im Badenschen Hof gastierte die amerikanische Harfinistin Debroah Henson-Conant im Trio mit zwei deutschen Gastmusikern an Baß und Schlagzeug. Das klassische Jazz-Trio mit Harfe, statt Piano ist eine recht ungewöhnliche Erscheinung. Die jazz-typischen „blue notes“ entstehen bei der Harfe durch das Treten des Fußpedals, was beim klassischen Spiel kaum getan wird. Die Rhythmusgruppe bleibt dagegen im Hintergrund, das Schlagzeug wird hauptsächlich fegend bearbeitet, der voluminöse hölzerne Kontrabaß wird zum Orchestercello mit warmhaltenden, langgestrichenen Bogenlauten vom neuen Jazzprofessor an der HdK, Siggi Busch. Die Harfe ist als Jazzinstrument bis heute kaum zur Geltung gekommen, abgesehen von einem kurzen Intermezzo in den 50er Jahren, als beispielsweise Billie Holiday sich von Corky Hale den Wind in die Saiten blasen ließ.

Beim Konzert spürt man schnell, daß die Vorurteile, die gegenüber der Harfe als Jazzinstrument gehegt werden, unbegründet sind. Debroah Henson-Conant läßt die Finger über die rot- und grün-getönten Drahtseile (nein!!!, schon wieder Koalitionsverdrahtung, d. Red.) streifen, mit der linken Hand zupft sie die Akkorde, mit der rechten produziert sie schillernde Klangwogen, die immer diese merkwürdigen Assoziationen von fliegenden Elfen mit wehenden Haaren und langen, recht durchsichtigen Kleidern bei mir erzeugen. Ich weiß auch nicht warum. Vielleicht gibt es wirklich Verbindungen zwischen dem magischen weißen Rauschen des leergefegten Bildschirms, der immer noch unter Strom steht, und dem Saitenrausch der Debroah Henson-Conant. Irgendetwas ist in diesem Sound, das einen träumen läßt in kitschigen Bildern von Sonne und Meereswellen. Vielleicht ist es auch die einnehmende Erscheinung Frau Hensons, die ihr gepflegtes Äußeres durchaus vorteilhaft in Szene zu setzen vermag. Das ist natürlich sexistisch, klarer Fall.

Deshalb frage ich sie nach dem Konzert zu ihrer Rolle als Frau im Jazz, einer Männderdomäne, in der es außer Sängerinnen kaum Frauen zu hören gibt. Sie sagt, daß viele Männer Schwierigkeiten damit haben, in der Band einer Frau zu spielen, sie als „Chefin“ zu akzeptieren, und daß es deshalb manchmal Probleme bereitet, Sessionmusiker zu finden. Aber sie habe gelernt, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. In den USA hat sie keine feste Band, spielt aber häufig mit der früheren Rhythmusgruppe der Pat Metheny Group, dem Schlagzeuger Danny Gottlieb und dem Bassisten Mark Egan, mit denen sie auch eine Platte produziert hat, die in Europa leider nicht vertrieben wird.

Ihre deutschen Begleiter Siggi Busch und Hans Clauss scheinen keine Probleme mit der weiblichen Bandleaderin zu haben, nach der Pause am Tresen eilen sie zurück zur Bühne: „Die Chefin ruft.“ Solch eine Hook-up Band mit einheimischen Musikern ist im Jazz nichts Ungewöhnliches. Um die Kosten einer Tournee zu reduzieren, wird nicht die komplette Gruppe eingeladen, sondern eine Solistin, die dann mit den jeweiligen Musikern ein Repertoire einübt. Daraus resultiert auch die Überzahl an Fremdkompositionen, jeder Jazzer hat ein Arsenal an Standards auf Lager, eine Art internationale Musiksprache, die jeder sprechen kann. „Take Five“, „All Blues“ von Miles Davis, „The Girl from Ipanema“ als Jazzesperanto, das langwieriges Einüben von unbekannten Titeln erspart. Drei Stunden zur Probe vor dem ersten Konzert genügen, um dem Trio einen relativ homogenen Ausdruck zu verleihen.

Frau Henson war sichtlich gerührt nach ihrem Berlin-Debut und freute sich, endlich einmal ihre zweijährige Deutschausbildung ein wenig in den Ansagen reaktiviert zu haben. Ein bißchen weniger Gefälligkeit könnte ihrer Musik nicht schaden, ein paar Kanten, die vorm Einlullen bewahren und wach halten. Sonst könnte sie, zumindest in Europa, leicht in die Weichspüler-New-Age-Abteilung abrutschen. In Amerika ist sie kommerziell erfolgreich, immerhin kann sie laut eigener Aussage von ihrer Musik gut leben, was für Jazzer schon fast ungewöhnlich ist.

Wundern Sie sich nicht, wenn demnächst die Nord-3 -Schrifttafeln von einer Harfinistin begleitet werden. Sie wird auch Sie in ihre Saiten einwickeln und in den Schlaf wiegen. Gähn.

Andreas Becker