„Hau alles rein“

■ Jan Lefeber bleibt nach dem Unentschieden gegen Herausforderer Ralf Rocchigiani Europameister im Halbschwergewicht / Der Rest des Abends war von Mitleid geprägt

Das Berufsboxen war in den letzten zehn Jahren selbst am Rande des K.o. Zwar gab es einen Rene Weller, aber erst seitdem Manager Sauerland seinen Graciano Rocchigiani zum IBF-Weltmeister gemacht hat, ist wieder mehr Schwung drin. Im letzten Jahr hat der Champion den Titel dreimal verteidigt, in einer gut besuchten Deutschlandhalle, seine Gagen waren sechsstellig.

Das beeindruckt einerseits die Boxer - nach den Europameisterschaften Ende Mai in Athen sollen einige Amateure ins Profilager überwechseln - andererseits die Veranstalter. Box-Promotor Willi Zeller ist nach knapp zehnjähriger Pause wieder ins Boxgeschäft eingestiegen, am Sonnabend lief mit der Europameisterschaft im Halbschwergewicht zwischen Ralf Rocchigiani und dem Holländer Jan Lefeber sein erster Kampfabend: Börse 56.000; zwei Drittel für den Gewinner, ein Drittel für den Verlierer.

Auf Berliner Seite war man optimistisch, besser gesagt, der Erwartungsdruck war hoch. Denn beide Kontrahenten hatten sich im Juli '88, als Lefeber noch nicht Europameister war, in Timmendorf schon mal im Ring gegenüber gestanden, und der Berliner hatte nach Punkten gewonnen. Viele sprachen von einer letzten Chance für den Bruder des Weltmeisters, ins große Geschäft einzusteigen, aber er selbst machte Druck: „Sollte ich Lefeber den Titel nicht abnehmen, kann ich mir nur noch sehr schwer vorstellen, mich noch einmal für einen neuen Anlauf zu motivieren!“

Dieser Fall ist jetzt eingetreten, das Unentschieden, das es am Samstag gab, reichte dem Holländer. Er bleibt Europameister. Der Generalsekretär der Europäischen Box Union, Marcello Bertini: „Das Urteil geht in Ordnung. Jan Lefeber hat den Titel zurecht behalten. Von einem Herausforderer erwarte ich, daß er in den Infight geht und kämpft, Ralf Rocchigiani ist auf Distanz geblieben!“

Zudem hat er es ruhig angehen lassen, was angesichts der Distanz von zwölf Runden nicht unbedingt falsch sein muß, allerdings geht diese Taktik nur auf, wenn man den Rest des Kampfes dominiert. Ab Runde vier schlug Rocchigiani mehr, er traf auch hart, beließ es aber bei Zweierkombinationen. Lefeber blieb immer wieder viel Zeit, sich neu zu sammeln. Die Ringmitte gehörte dem Berliner ab Runde fünf, er ließ den Holländer die längeren Wege gehen und machte den Kampf bis weit über die achte Runde hinaus, in der ihm die linke Augenbraue geplatzt war. Der Mann aus Schöneberg ging auch nach den besten Wirkungstreffern nicht hinterher, und das kann man sich gegen einen Mann, der bestenfalls nach Serien fällt, nicht leisten. Lefeber schlug nach wie vor einfach zurück, und das nicht schlecht, wie man nach dem Kampf sehen konnte. In Runde elf, nachdem Graciano die Parole ausgegeben hatte: „Hau alles rein - Alles oder nichts!“, war Ralf Rocchigiani der Europameisterschaft am nächsten. Lefeber „wackelte“ - ihn „umzuhauen“ fehlte dem Herausforderer die Kraft.

Ursächlich war noch ein zweiter Hauptkampf geplant. Kalle „Bomber“ Heistermann wollte sich im spektakulären Schwergewicht durch einen K.o. gegen Sergio Bosio als Herausforderer des deutschen Meisters Manfred Jassmann empfehlen, mußte wegen einer verletzten Schlaghand aber absagen. Ohne den „Bomber“ hing der Rest des Abends stellenweise schwer durch. Gegen den völlig austrainierten Yurdur Demircan beispielsweise stieg ein 38jähriger Mann aus Jugoslawien mit einem bereits völlig zerschlagenen Gesicht in den Ring - Mladen Grubesitz hatte das Mitleid der gut 800 Zuschauer von dem Augenblick an auf seiner Seite, in dem er den Bademantel auszog. In der ersten Runde flog das Handtuch. Der Gegner von Alex Alves, der ehemalige südenglische Meister Serg Fame, schaffte es bis zur dritten, die beiden anderen Nebenkämpfe gingen über die angesetzten vier Runden. Der 18jährige Andi Marks hatte Mirsad Mahmutovic jederzeit im Griff und am Rande eines K.o., die beherzte Prügelei zwischen Mechmet Demir und Aytekin Urkal brachte das zweite Unentschieden des Abends.

Z.Z.