Die Fäden der Ariane

■ Philippe Caubere spielt in Paris die Geschichte des „Theatre du Soleil“ als One-Man-Show

Wenn nach drei Stunden der Vorhang fällt, müßten eigentlich alle Personen noch einmal auf die Bühne treten: Ariane, die penetrant-allgegenwärtige Theaterchefin, Max und Jean -Claude, die ihren Marseiller „Akzang“ über all die Pariser Jahre hinweggerettet haben, Clemence, die naive Männermordende, Ferdinand selbstverständlich, der Held des Ganzen, und der Rest der Truppe vom „Theatre du Soleil“ alle, die der Zuschauer kennengelernt hat (so gut, daß er sie auf der Straße wiedererkennen würde), werden sich jetzt noch einmal dem Applaus stellen. Doch die Bühne bleibt leer

-bis auf einen etwas untersetzten Mann im weißen Hemd: Philippe Caubere. Denn er allein war es, der die Bühne des „Theatre Hebertot“ einen ganzen Abend lang bevölkerte und damit zum Theaterereignis der Pariser Frühjahrssaison wurde.

Philippe Caubere kennt jeder, ohne ihn zu kennen, spielte er doch den Moliere im Film der Ariane Mnouchkine. Jetzt hat er seine Geschichte mit Mnouchkines Schauspielertruppe selbst auf die Bühne gebracht. In der insgesamt neunstündigen Trilogie berichtet er von einer Mnouchkine, deren gluckenhafte Leidenschaft für die Truppe so weit geht, daß sie noch das Gefühlsleben der Schauspieler inszenieren möchte (was ihr, Caubere zufolge, auch meist gelungen ist); er erzählt von dem Schauspieler Ferdinand, seinem Double, der aus Aix-en-Provence nach Paris zieht und mit Haut und Haar vom „Theatre du Soleil“ gefressen wird, was nicht weiter schlimm wäre, hätte es dort auf der Probebühne zum Revolutionsstück 1789 nicht jene Jongleuse Clemence gegeben. In sie verliebt sich Ferdinand, und nicht nur er alleine. Sie sich aber nicht, dann aber doch und so weiter und so weiter über drei Etappen hinweg: Les Enfants du Soleil, La Fete de l'Amour und schließlich Le Triomphe de la Jalousie.

Die Ballade vom Ferdinand ist es jedoch nicht, die das Publikum jeden Abend ohne ein einziges Husten oder Räuspern auf die Bühne starren läßt. Es ist Caubere, der hier Theater in reiner Form präsentiert. Keine Kulisse, keine Requisiten außer einem Stuhl, kein Kostüm - nur Geste, Stimme, Mimik, Bewegung und natürlich Sprache. Ein Beispiel: Ferdinand und Clemence wollen heiraten und zwar im „Theatre du Soleil“. Nach etlichem Hin und Her ist es dann soweit, und die Truppe veranstaltet einen Ball und - als Höhepunkt - ein Wagenrennen: je vier Leute unten und ein Wagenlenker oben. Summa summarum neun Personen, dazu die Kapelle und die Familien von Ferdinand und Clemence. Caubere gelingt es, alle diese Charaktere simultan zu spielen, und er schafft es durch minimale Variation von Stimme, Akzent, Körperhaltung oder nur einer Handbewegung unmißverständlich klar zu machen, daß es jetzt Max und nicht Jean-Claude ist, der von Ariane zusammengestaucht wird. Man sieht die Personen vor sich, wo ein zufällig Hereinkommender nur einen derwischartig über die Bühne und durch die Tonlagen huschenden, etwas untersetzten Schauspieler sehen würde.

Alexander Smoltczyk

Philippe Caubert im „Theatre Hebertot“, noch bis zum 22.April, dann wieder ab 9.Mai - gewiß ein Grund, nach Paris zu fahren, vielleicht sogar einer, Französisch zu lernen.