Ti-dabbelju-ell

■ Das neue Programm des Kabarettisten Michael Quast

Das moralisierende Politkabarett, das seit den frühen fünfziger Jahren die Geschicke der Bundesrepublik zynisch, doch hoffnungsvoll begleitete, hat seinen giftigen Stachel in der Wirrnis der „freefloating signifiers“ des postmodernen Daseins längst verloren. Das gute (Ge-)Wissen gegen das Böse in der Welt auszuspielen - auf den besten Sendeplätzen bei ARD, ZDF und den Privaten - ist nur noch mäßig unterhaltend; kritisch-aufklärerisch wirkt es schon lange nicht mehr.

Der Frankfurter Schauspieler und Ex-„Kom(m)ödchen„ -Kabarettist Michael Quast sucht nach einem Ausweg zwischen Hüsch und Hallervorden, um das verendende Genre des politischen Kabaretts wiederzubeleben. Sein Konzept ist das der szenischen Collage, in der er sich eher mimetisch als ideologisch mit der Wirklichkeit auseinandersetzt. Schon sein erstes Soloprogramm, Satyr im Getriebe, war weniger klassisches „Brettl“ als die mimisch-akustische Darstellung und Verfremdung des alltäglichen und nicht-alltäglichen Lebens. In seinem zweiten Programm, Die Wüste lebt - das im März im Frankfurter Theater am Turm Premiere hatte -, benutzt Quast den dramaturgischen Rahmen einer Rundfunksendung für einen Schnelldurchlauf durch die Welt, der in der Frage gipfelt, die Gisbert Inge, Jesus dem Herrn, und die wir alle Jürgen Habermas stellen: „Erklär mir die Welt!“

Quasts Wüste ist ein dichtbevölkerter Landstrich: Es wimmelt von genmanipulierten Schimären, Hörern, die mitmachen, aktuellen Börsentendenzen zwischen Slum und Grand Slam, nudelseligen Pfarrern, eloquenten Geiseldramatikern, Tagebuch-Literaten im Nebel der Großstadt, blauen Umweltengeln und rasenden Reportern - und nur einer behält den Überblick im Kampf der Dinge mit sich selbst: Quast, der Bruchpilot zwischen Schauspielbühne und Kleinkunst-Brettl, Oase in der Wüste, Mikrofonakrobat und Programmschema, Rundfunkmoderator von Ti-dabbelju-ell, der flotten Metropolenwelle aus Frankfurt, der sinnlich demonstriert, daß in jedem von uns ein Tiefflieger steckt.

Doch Quast, der sonst bei Millers Hexenjagd, Goldonis Diener zweier Herren oder Camus‘ Gerechten auf der Theaterbühne steht, verliert sich nicht in einer Radio -Persiflage. Sein Kabarett arbeitet mit den Mitteln der authentischen Annäherung an die Dinge selbst, die sich im Augenblick ihrer - kabarettistischen - Darstellung biegen vor lebendiger Absurdität, und manchmal brechen.

Differenzierte Stimmlagen der einzelnen Akteure, die Quast alle selbst spielt, Geräusche und Laute, die er mit unglaublicher Tonakrobatik erzeugt, bestimmen den musikalischen Rhythmus seines Programms, einer Mischung aus bester amerikanischer „Stand-up-Comedy“ und Frankfurter Schule der 5.Generation. Der Irrsinn, inmitten dessen heute nach Orientierung, Sinn und Verstand geforscht werden muß, wird weder larmoyant-ironisch noch zynisch pseudo-cool kommentiert, sondern anschaulich in Szene gesetzt.

Das Konzept einer Ein-Mann-Radio-Show gibt dem galoppierenden Wahnsinn Struktur und Quast Gelegenheit, sein schauspielerisches und vor allem tonkünstlerisches Repertoire zu entfalten: Er ahmt die bekannten „jingles“ nach, die die einzelnen Programmelemente (Reiseruf, Werbung, Wetter) ankündigen, benutzt „running gags“, deren Wiederkehr das Publikum begeistert beklatscht, bis die recht populistische Büttenrede ihm hörbar den Spaß verdirbt, der sich im nächsten Augenblick wieder Bahn bricht, wenn der Kapitän der „Karin B.“ in einer Direktschaltung die „ew'ge Verdammnis“ des fliegenden Müllhändlers mit Wagner-Versen und Bayreuther Spätromantik beschwört und Smutje einen Gruß in die norddeutsche Heimat schickt. In rasantem Schnitt/Gegenschnitt-Verfahren gelingt Quast eine sarkastische Synopse gegenwärtiger Existenz zwischen Tiefflugübung und Tiefkühlkost im Zeitalter des Treibhauseffekts.

Verena Lueken

Weitere Vorstellungen:

15./16.4. Zürich; 18./19.4. Frankfurt; 29.4. Saarbrücken; 1./2.5. Frankfurt