Bejubeltes Duell der Harmlosen

1. FC Nürnberg - VfB Stuttgart 1:0 / Niedriger Alkoholpegel, niedriges Spielniveau  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Saufen tun's nichts, da muß der Club ja wieder saumäßig spielen.“ Der Bierverkäufer auf der Haupttribüne hatte die Lage bereits nach 15 Minuten erfaßt. Schlechter Bierumsatz der Fans ist für ihn als erfahrenen Kenner der Szene ein ausreichendes Kriterium für mangelnde Spielqualität. „Die Nürnberger waren heute sehr harmlos“, drückte sich denn auch nach dem Spiel Stuttgarts Trainer Arie Haan noch relativ höflich aus. „Meine Mannschaft hat sich heute selbst geschlagen“, klagte der ehemalige holländische Nationalspieler dagegen über sein Team, das die ganzen 90 Minuten nicht den Beweis führen konnte, daß Milch gewöhnlich müde Männer munter machen soll. Der VfB machte seinem Werbesponsor „Südmilch“ keine Ehre, beschränkte sich auf einige Fernschüsse und ließ den Ball in den eigenen Reihen, oft auch in der eigenen Hälfte laufen.

Dem Nürnberger „Club“ ließ dies in den ersten 30 Minuten völlig kalt. Die Spieler schauten entweder gelangweilt zu oder revanchierten sich mit Rückgaben zum eigenen Torwart. War einmal ein Stuttgarter mühevoll umspielt worden, bemühte man sich, den gewonnenen Raum durch einen Rückpaß schnellstens wieder zunichte zu machen. Dabei hatte Trainer Gerland vor dem Spiel die Devise ausgegeben, im Abstiegskampf sei fortan jedes Spiel ein Endspiel. „Wir müssen deutlich zeigen, wer Herr im eigenen Stadion ist“, hatte der „eiserne Hermann“ gefordert. Seine Spieler nahmen ihn jedoch nicht beim Wort.

Seit dem Ausverkauf in Nürnberg (Reuter und Grahammer zum FC Bayern und der komplette Sturm mit Eckstein und Andersen zu Eintracht Frankfurt) ging es mit der Mannschaft bergab. Seit Wochen krebsen sie auf dem 14. Platz herum. Der neben Torwart Andy Köpke letzte verbliebene Nationalspieler Manfred Schwabl, der nächste Saison beim FC Bayern spielen wird, saß gegen Stuttgart wegen Formschwäche nicht einmal mehr auf der Reservebank.

Der VfB Stuttgart ließ hingegen nichts von den Qualitäten aufblitzen, die man bei einem UEFA-Cup-Halbfinalisten eigentlich vermuten darf. Selbst die torgefährlichen Fritz Walter und Maurizio Gaudino ließen sich vom Virus der Harmlosigkeit anstecken. So lebte jede Mannschaft von den Fehlern der anderen, das Spiel wogte dementsprechend ohne größere Folgen hin und her. Vielversprechende Alleingänge von Nürnbergs „schwarzer Perle“, dem Senegalesen Sammy Sane, wurden ebenso abgeblockt wie Allgöwers Gewaltschüsse.

Wie das Leben so manchmal spielt, ohne daß man genau weiß, warum, fiel in der 65. Minute das erlösende 1:0 für den „Club“. 22.000 Fans waren aus dem Häuschen, als nach einem Abpraller die Nummer 8 des „Clubs“ Reiner Wirsching den Ball gefühlvoll über den herauseilenden Nationalkeeper Eike Immel heben konnte.

Endlich kam Leben ins Spiel durch verzweifelte Angriffe der Stuttgarter und beherzte Konter der Nürnberger. Weder das eine noch das andere brachte etwas ein. Das gab Club-Torwart Andy Köpke die Gelegenheit, Zweifel an seiner staatstragenden Gesinnung zu säen. Nach einer Verletzung eines Club-Spielers drosch er, um durch die Spielunterbrechung eine Behandlung zu ermöglichen, den Ball ins Seitenaus - exakt auf eine mit Polizisten besetzte Bank. Mehrere Dienstmützen verließen völlig unfreiwillig den Kopf der dazugehörigen Ordnungshüter. Nürnbergs Neuerwerbung Stefan Kuhn konnte beweisen, warum seine Schußkraft dem Club 1,2 Millionen Mark wert war. Der ehemalige Wattenscheider brachte es fertig, das Leder aufs Haupttribünendach zu kicken. Der Ball ward fortan nicht mehr gesehen und mußte ersetzt werden.

Doch auch das neue Leder änderte nichts an den wenigen herausgespielten, kläglich vergebenen Chancen. So blieb es bei dem trotzdem vielumjubelten Sieg der Nürnberger. Stuttgarts Trainer gab zu, daß er sich jetzt etwas einfallen lassen müsse, und Nürnbergs Coach kann getrost auch das nächste Spiel zum „Endspiel“ deklarieren. Seinen großen Worten („Klinsmann ist mir völlig egal“) brauchten Gerlands Mannen diesmal zum Glück keine Taten folgen zu lassen. Der VfB-Mittelstürmer war verletzt und mußte dem harmlosen Treiben von der Tribüne aus zuschauen.

NÜRNBERG: Köpke - Bayerschmidt - Kuhn, Giske - T. Brunner, Philipkowski, H.J. Brunner, Kristl, Wagner (33.Hausmann) Wirsching, Sane (87.Oechler)

STUTTGART: Immel - Allgöwer - Buchwald, N. Schmäler Hartmann, Katanec, Schütterle, Sigurvinsson (37.Poschner/78.Zietsch), Schröder - Gaudino, Walter