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„Ein Rätsel, wie das Zeug in den Boden gekommen ist“

Quecksilber-Skandal in Frankfurt-Griesheim: Unbehelligt von Auflagen für den Umweltschutz „entsorgte“ eine kleine Firma quecksilberhaltigen Müll für die bundesdeutsche Großindustrie / 16 Tonnen Quecksilber giften im Erdreich des Betriebsgeländes vor sich hin - Sanierungskonzept nicht in Sicht  ■  Von Miriam Carbe

Verblödung, „Quecksilberzittern“, Nierenversagen - das sind die Kennzeichen einer chronischen Quecksilbervergiftung. Um eine solche zu bekommen, reicht es aus, dem schleichenden Gift über einige Monate oder Jahre hinweg in geringer Konzentration ausgesetzt zu sein. Die ersten Anzeichen einer Vergiftung sind allerdings wenig spezifisch: Kopfschmerzen, Übelkeit. Im Frankfurter Stadtteil Griesheim erwägen einige Bürger, die unter solchen Beschwerden leiden, eine Klage gegen die Quecksilberverwertungsfirma Elwenn & Frankenbach (EFG). Fast 15 Jahre lang atmeten die Bewohner dieses Stadtteils Quecksilberdämpfe in „nicht unerheblicher Menge“

-so Waldemar Witte, Liquidator der Firma - ein. Inmitten von Sozialwohnblocks, Kindergärten und Betrieben produzierte die kleine Firma unbelastet von Auflagen für den Umweltschutz. Sie entsorgte quecksilberhaltigen Müll für die Großindustrie. Museumsreife Anlagen

Die Firma Elwenn & Frankenbach wurde 1972 vom ehemaligen Ingenieur der Höchst AG, Wolfgang Elwenn und vom Ingenieur Paul Frankenbach als „Versuchsbetrieb zur Wiedergewinnung von Quecksilber“ vorwiegend aus Alt- und Autobatterien gegründet. Anfänglich destillierte sie 16 Tonnen Quecksilber im Jahr. Später erhöhte sie ihre Kapazität auf bis zu 250 Tonnen. So viele Batterien gibt es jedoch nicht in der Bundesrepublik.

Was in der Fabrik wirklich verarbeitet wurde, erfuhr die Bevölkerung erst, als sich das Unternehmen schon in Liquidation befand: Durch Nachforschungen der Presse wurde bekannt, daß bundesweit die ganze Industrie ihren Giftmüll nach Griesheim gekarrt hatte, in den einzigen Betrieb dieser Art. Das gesamte Spektrum quecksilberhaltiger Stoffe ging dort jahrelang durch die Öfen, ohne daß eine Behörde tätig geworden wäre. Die Abfallbehörde schaute weg. Denn entsprechend einer Verfügung des Regierungspräsidenten von 1979 war das, was Elwenn & Frankenbach verarbeiteten, kein Abfall, sondern ein Wirtschaftsgut. Andere Behörden wiederum, z.B. die Staatliche Gewerbeaufsicht und die Hessische Landesanstalt für Umwelt, konnten bei ihren halbjährlichen Werksbesichtigungen „nichts Auffälliges“ an der kleinen Giftfabrik finden.

Einem Rentner erging es da ganz anders: Als er 1985 vor dem Firmengelände Tonnen mit Quecksilberresten entdeckte, informierte er das Ordnungsamt. Dieses bedankte sich für den Hinweis und versicherte ihm, das alles sei vollkommen unbedenklich. „Naturgemäß fällt hier und da auch mal was runter“

Seit Ende 1987 ist der Betrieb, der seit einigen Jahren der Degussa gehört, in Liquidation. Die Baugenehmigung für die „museumsreifen Anlagen“ (Umweltreferat) wurde damals nicht verlängert. Eine Auflage für den Verkauf des Geländes war der vorherige Austausch der oberen Bodenschicht. Bodenproben wurden entnommen und es stellte sich schnell heraus, daß das Wegschippen der oberen 20 Zentimeter nicht ausreichen würde. Seither wurden auf dem Firmengelände und in der Umgebung immer neue Probebohrungen durchgeführt, deren Ergebnisse ein erschreckendes Bild von der Boden- und Luftverseuchung zeichnen.

Ein Sanierungskonzept, auf das Anwohner, SPD und Grüne seit Monaten drängen, wurde zwar immer wieder in Aussicht gestellt, aber: „Wer fragt, warum wir noch immer kein Sanierungskonzept haben, ist offensichtlich nicht in der Lage, die Komplexität und Schwierigkeit der Situation zu begreifen“, ist alles, was der noch amtierende Frankfurter Umweltdezernent Daum (CDU) dazu zu sagen hat. In den vergangenen Monaten sah er seine Aufgabe vornehmlich darin, die verängstigten Bürger zu beschwichtigen. Daum hielt es nie für problematisch, daß Kinder in Griesheim in verseuchten Sandkästen spielten. So war die abweichende Meinung wissenschaftlicher Gutachten ihm auch keine Veröffentlichung wert. Erst Mitte März ließ die Stadt den Sand austauschen. Der Untergrund der Spielplätze blieb davon jedoch unberührt, obwohl Proben Werte von bis zu 35 Milligramm Quecksilber pro Kilo Boden ergeben hatten. Schon bei mehr als zwei Milligramm ist ein Bodenaustausch ratsam, bei zehn Milligramm herrscht nach der international verbindlichen „Holländischen Liste“ dringender Handlungsbedarf.

„Handeln“ ist für alle Beteiligten ein magisches Wort. Nur: Es gibt zahlreiche Hindernisse. Die Staatsanwaltschaft beispielsweise würde gern ermitteln, aber sie stehe, erklärt sie, „vor einem Rätsel, wie das Zeug in den Boden gekommen ist“. Die Betriebsabläufe zu durchleuchten sei schwierig und habe in vergleichbaren Fällen schon mal „zwei Jahre gedauert“. Eine Bürgerinitiative in Griesheim erstattete jetzt Strafanzeige gegen die Verantwortlichen, um die Ermittlungen ein wenig zu beschleunigen.

Der frühere Firmeninhaber Paul Frankenbach, heute Leiter einer Quecksilberfabrik in Frankfurt-Höchst, kann dem Staatsanwalt auch nicht weiterhelfen. Obwohl das Patent für die Quecksilberdestillation von ihm entwickelt wurde, vermag er nicht zu erklären, wie über 16 Tonnen Quecksilber in Tiefen von bis zu 28 Metern in das Betriebsgelände einsickern konnten. Daß da „naturgemäß hier und da mal was runterfällt“, sei ja normal, aber diese Dimensionen findet auch er erstaunlich: „Ich war nie der Verantwortliche für diese Firma.“ Wer wird/muß die Sanierung bezahlen?

Handeln möchte auch Ernst Tesar vom Umweltreferat. Er hat die Aufgabe, die Sanierungsmaßnahmen mit den fünf zuständigen Behörden zu koordinieren. Er muß sich auch mit der Degussa absprechen, die durch den Liquidator Witte vertreten wird. Ende letzten Jahres wurde das Firmengelände asphaltiert, um das weitere Ausströmen der giftigen Dämpfe zu verhindern. Daß durch den heißen Teer statt dessen gasförmiges Quecksilber in erhöhten Mengen freigesetzt wurde, wie die BI jetzt feststellte, ist dabei wohl eher nebensächlich. Guter Wille wurde publikumswirksam bewiesen. Außerdem bot die Stadt den Griesheimer Bürgern kostenlose ärztliche Untersuchungen an. Sie brachten keinerlei überhöhte Werte zutage. Untersucht wurden Blut und Urin. Dazu zogen die Grünen ein ärztliches Lehrbuch heran: „Der qualitative Nachweis von Quecksilber im Urin ist bedeutungslos - jeder Mensch scheidet gelegentlich im Tagesurin etwas Quecksilber aus - und beim chronisch Vergifteten können Quecksilberausscheidungen ganz fehlen.“ Das Gift lagert sich vorwiegend im Gehirn und in der Niere ab, wirklich gründliche Untersuchungen sind langwierig und schmerzhaft.

Der Grund, warum trotz des guten Willens aller Beteiligten noch keinerlei konkrete Schritte eingeleitet wurden, ist die Frage der Kostenübernahme. Die Sanierung wird teuer, zweistellige, vielleicht sogar dreistellige Millionenbeträge sind zu erwarten. Die Stadt Frankfurt bemüht sich bei allen Auflagen um Einvernehmen mit Degussa. Um den Preis seines guten Namens könnte der Konzern z.B. die Tochterfirma Konkurs anmelden lassen. Die Sanierungskosten trüge dann der Steuerzahler. Doch, so Liquidator Witte: „Rechtlich gesehen haben wir die Sanierung nicht nötig.“

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