: Auf Beugen und Brechen
Im Rahmen der §129a-Ermittlungsverfahren ist das Auskunftsverweigerungsrecht faktisch aufgehoben: Immer mehr ZeugInnen droht Beugehaft / „Eklatante Verletzung von Beschuldigtenrechten“ ■ Von Ulrike Helwerth
Erfolgsmeldungen verbreitete die Bundesanwaltschaft nach den Durchsuchungen und Verhaftungen am 18.Dezember 1987 in Köln, Hamburg und dem Ruhrgebiet. Ein entscheidender Schlag gegen „Revolutionäre Zellen“ und „Rote Zora“ sei endlich geglückt, „tiefe Einblicke“ in deren Strukturen gewonnen. Heute, 15 Monate später, kann von Erfolg kaum noch die Rede sein. Einige §129a-Ermittlungsverfahren wurden inzwischen eingestellt, eine der gefangenen Frauen, Ulla Penselin, mußte wegen unhaltbarer Verdachtsgründe aus der Haft entlassen werden. Im Prozeß gegen die Journalistin Ingrid Strobl steht die Anklageseite fast ohne Beweise da, verstrickt sich zunehmend in Widersprüche. Das Interesse der Bundesanwaltschaft konzentriert sich mittlerweile auf mehrere Personen, die seit Ende 1987 verschwunden sind. Weil die Ermittler nicht weiterkommen, halten sie sich nun an deren FreundInnen und Bekannte - auf Beugen und Brechen bisheriger Rechtspraxis. Seit dem 16.März 1989 sitzt die erste aussageunwillige Zeugin in Beugehaft. Eine bundesdeutsche Premiere.
Die Vorgeschichte dafür begann im September 1988. Mehr als 20 Leute aus Hamburg und dem Ruhrgebiet erhielten damals Vorladungen von der Bundesanwaltschaft. Als ZeugInnen sollten sie aussagen gegen Personen, nach denen seit dem 18.Dezember 1987 in Sachen §129a gefahndet wird. Man erhoffte sich von ihnen „Angaben über den Verbleib“, „Kontakte in der Szene“ und Informationen über den „gegenwärtigen Aufenthaltsort“ der Gesuchten. Die meisten der Vorgeladenen verweigerten jedoch zunächst jegliche Aussage. Ordnungsgelder bis zu 400 Mark wurden verhängt.
Damit schien die Angelegenheit erledigt. Bis Anfang Dezember in Bochum eine Wohngemeinschaft durchsucht wurde. Grund: „Beweismittelsicherung gegen Dritte“. Was die Beamten statt dessen fanden, waren Flugblätter und Plakate, die zu einer Info-Veranstaltung über ZeugInnenvorladungen und Aussageverweigerung im Bochumer Szene-Zentrum Bahnhof Langendreer einluden. Dieser Fund reichte aus, um allen vier BewohnerInnen ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung bzw. Werbung für eine „terroristische Vereinigung“ anzuhängen. In der Begründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, an das die Bundesanwaltschaft das Verfahren wegen „minderer Bedeutung“ abgegeben hat, heißt es: „Mit diesem Einwirken (mit den Flugblättern und Plakaten, d.Red.) auf den so angesprochenen - und über die Hintergründe gut informierten - Leserkreis, mit dem Ziel, dessen Bereitschaft zur Zeugnisverweigerung zu erwecken oder zu bestärken, wird das Entdeckungsrisiko für Mitglieder terroristischer Vereinigungen in nicht unerheblichem Maße gemindert. Diese Aufforderung ist geeignet, das Vertrauen von Vereinigungsmitgliedern auf eine breite solidarische Verschwiegenheit in der Szene zu bekräftigen und sich dadurch in ihrem organisatorischen Zusammenhang bestätigt und gesichert zu fühlen sowie sie zur Fortsetzung strafbaren Tuns zu ermutigen.“
ZeugInnenstatus
faktisch aufgehoben
Gleich am nächsten Tag wurden zwei der betroffenen Frauen als Zeuginnen vorgeladen. Gegen eine von ihnen, Gabi H., beantragte die Bundesanwaltschaft Ende Dezember bereits Beugehaft, da „ihre Aussagen für die Fortführung des Ermittlungsverfahrens von ausschlaggebender Bedeutung (sind), weil im derzeitigen Stadium kaum noch andere Beweismittel (...) zur Verfügung stehen“.
Anfang Januar 1989 sollte Gabi H. dann zum zweiten Mal als Zeugin aussagen. Zu jenem Zeitpunkt wußte sie noch nicht einmal, daß gegen sie selbst ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden war. Anfang Februar wurde bekannt, daß gegen sie und weitere sechs Personen Beugehaft angeordnet worden war, eine Maßnahme, die in der Strafprozeßordnung geregelt ist, um unwillige ZeugInnen zum Reden zu bringen. Beuge oder Erzwingungshaft wurde bisher nur während weniger Verfahren eingesetzt und noch nie gegen soviele Personen gleichzeitig. In der Haftbegründung des Bundesgerichtshofs gegen Gabi H. heißt es, sie sei weder zu einer pauschalen Verweigerung berechtigt noch bestünde ein Auskunftsverweigerungsrecht nach §55 (Gefahr der Selbstbelastung). Außerdem gehe es der Zeugin „auch gar nicht um die Geltungmachung derartiger Rechte. Sie versteht ihre Weigerung vielmehr - ebenso wie andere Zeugen - als kollektive Demonstration gegen die Strafvollzugsorgane.“
Eine letzte Chance für „Gesinnungswandel“ bot die Bundesanwaltschaft den Beugehaftbedrohten am 16.März durch ein drittes Verhör in Karlsruhe. Mit dem Hinweis auf ihr eigenes Ermittlungsverfahren berief sich Gabi H. bei allen Fragen auf den §55. Daraufhin wurde sie verhaftet. Seitdem sitzt sie in der JVA Bühl im Schwarzwald. Weil sie sich dort einem Aids-Test verweigerte, wurde sie in eine Einzelzelle verlegt und ihr Umschluß mit anderen Gefangenen reduziert. Für Kost und Logis muß sie täglich 60 Mark aus eigener Tasche berappen. Hafthöchstdauer: sechs Monate.
Anne Mayer, Gaby H.s Rechtsanwältin, sieht in der ganzen Geschichte „eine eklatante Verletzung von Beschuldigtenrechten“. Im deutschen Strafrecht gelte, daß niemand verpflichtet sei, sich selbst zu belasten. Dieser Grundsatz genieße verfassungsrechtlichen Schutz und gelte für alle Auskunftspersonen. Für Beschuldigte ist diese Aussagefreiheit in §136StPO geregelt, für ZeugInnen im §55: „Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in §52, Abs.1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“
Doch im Fall von Gabi H. ließ die Bundesanwaltschaft diesen Paragraphen nicht gelten. Dazu Anne Mayer: „Materiell besteht ein solch enger Zusammenhang zwischen dem Ermittlungsverfahren gegen meine Mandantin und dem Ermittlungsverfahren, in dem sie als Zeugin Angaben machen soll, daß jede Aussage, die sie als Zeugin machen würde, in ihrem eigenen Ermittlungsverfahren verwertbar wäre.“
„Reden ist Scheiße,
Schweigen ist Gold“
Aber es ist nicht erst seit heute bekannt, daß der §129a einer besonderen Rechtspraxis unterliegt: Die Unschuldsvermutung ist in ihr Gegenteil verkehrt worden. Schuldig kann prinzipiell jeder sein, der seine Unschuld nicht beweisen will oder kann. Der ZeugInnenstatus ist faktisch aufgehoben. Denn jede Person, die „enge Verbindungen“ oder „persönliche Beziehungen“ zu Verdächtigten oder Beschuldigten unterhält - und außerdem womöglich noch zu einem „anschlagrelevanten Thema“ arbeitet
-, macht sich selbst verdächtig. In 129a-Verfahren gibt es daher keine harmlosen oder gefährlichen, belastenden oder entlastenden Aussagen, denn jede Information kann beitragen zur Konstruktion einer Beschuldigung. Daher ist es das beste, was mensch gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft tun kann: Maul halten.
Diese Erkenntnis bahnte sich ihren Weg nicht zuletzt nach den tödlichen Schüssen an der Startbahn West am 2.November 1987. Unter dem ungeheuren Druck des Mordverdachts packten etliche Leute aus der Frankfurter Szene bei den Verhören aus, belasteten nicht nur sich, sondern auch andere. Ein Karussell gegenseitiger Bezichtigungen wurde in Gang gesetzt, das nur mit Mühe zu stoppen war. Verrat, Vertrauensbruch und Mißtrauen haben den „Zusammenhängen“ der autonomen Gruppen im Rhein-Main-Gebiet schweren Schaden zugefügt.
Nach den Durchsuchungen und Verhaftungen am 18.Dezember 1987 starteten autonome Kreise im Ruhrgebiet die Kampagne „Anna und Arthur halten das Maul“ mit dem Ziel, „jede Kooperation mit dem Staatsschutz zu verweigern“, denn „nur gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können die Verfolgungswelle des Staates stoppen“. Nach den ZeugInnenvorladungen im September 1988 erhielt diese Kampagne neue Nahrung. Zunächst hielten sich die meisten Vorgeladenen auch an die Devise, verweigerten die Aussagen. Sobald jedoch die Beugehaft drohte, begann die Front zu bröckeln. Sieben Personen erschienen am 16.März vor der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Eine kam in Beugehaft, bei einer anderen wurde der Verhörtermin verschoben. Was aber passierte mit den restlichen fünf? Sie zogen ihren Kopf aus der Schlinge, indem sie einige Fragen beantworteten, andere mit Hinweis auf §55 verweigerten.
So wurden Fakten geschaffen, die die Aussageverweigerungs und Antibeugehaft vor eine neue Situation stellen. Diskutiert wurde zur Zeit, ob und wie der §55 in Zukunft gehandhabt werden kann. Während einige AnwältInnen der Auffassung sind, mit diesem Paragraphen einen größeren Argumentationsspielraum zu gewinnen, meinen andere, §55 würde außer einer Selbstbelastung überhaupt nichts bringen und nur unnötige Kollaborationsbereitschaft signalisieren. Weit wichtiger scheint jedoch die Frage, wie breit der Widerstand tatsächlich ist. Hat sich doch jetzt gezeigt, daß die meisten Leute - aus sehr einsichtigen und akzeptablen persönlichen Gründen - bisher eben nicht bereit waren, bis zu sechs Monate im Knast zu verschwinden. Wie also kann unter diesen Umständen die Kampagne „Anne und Arthur halten das Maul“ weitergeführt werden? Offen und ohne falsche KämpferInnenpose müßte hier diskutiert werden, denn, so die Stimme aus der Bewegung: „Wenn wir die Latte zu hoch hängen, produzieren wir unsere Verräter selbst.“
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