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Zweiter Appell an Justizminister

69.Tag im RAF-Hungerstreik / Heute Sonder- konferenz der Justizminister / Osterappell erneuert  ■  Von G.Rosenkranz und W.Gast

Berlin (taz) - Ein gemeinsamer Vorschlag von Bund und Ländern zur Zusammenlegung der hungerstreikenden RAF -Gefangenen wird heute aller Voraussicht nach endgültig an Bayern und Baden-Württemberg scheitern. Im Vorfeld der heutigen Sonderkonferenz der Justizminister in Bonn haben führende Politiker aus Schleswig-Holstein, Berlin und Niedersachsen auf der einen und Baden-Württemberg und Bayern auf der anderen Seite ihre gegensätzlichen Positionen noch einmal festgeklopft. Während die Erstgenannten eine Zusammenlegung in kleineren Gruppen grundsätzlich befürworten, bleiben vor allem Bayern und Baden-Württemberg nach wie vor bei ihrer knallharten Verweigerungshaltung.

Anläßlich der Justizministerkonferenz traten gestern die Initiatoren des „Osterappells 1989“ mit einem „Zweiten Aufruf an Staat und RAF-Gefangene“ an die Öffentlichkeit. Der Appell, der wiederum von prominenten VertreterInnen der Kirche und des öffentlichen Lebens unterzeichnet ist, enthält einen eigenen Kompromißvorschlag. Danach sollen die Gefangenen in „Gruppen mittlerer Größe“ zusammensein und miteinander reden können. Ein Austausch zwischen den Gruppen soll ermöglicht werden. Außerdem sollen die Gefangenen die Möglichkeit haben, in mehreren Gruppen für einen begrenzten Zeitraum „zum Zweck der politischen Auseinandersetzung auch mit Andersdenkenden“ zusammenzukommen.

Den Aufruf haben unter anderen unterzeichnet: Mitgliedern der Familie des 1986 von einem RAF-Kommando erschossenen Diplomaten Gerold von Braunmühl, der Theologe Heltmut Gollwitzer, der Berliner Altbischof Kurt Scharf, der frühere Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz, die grüne Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer und die Journalistin Carola Stern.

An die Länder Bayern, Baden-Württmberg und Hessen wird

appelliert, „einer Zusammenlegung nicht im Wege“ zu stehen. Berlin, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein

-Westfalen werden aufgefordert, auch dann etwas zu tun,

„wenn es auf Ihre Länder beschränkt Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4

Bericht und Dokumentation S.5

ist“. Schließlich wendet sich die „Gruppe Osterappell 1989“ an die Gefangenen: „Lehnen Sie einen Vorschlag, der Ihre Möglichkeiten, zusammensein und miteinander sprechen zu können, deutlich verbessert, nicht ab.“

Am Wochenende haben sich in Hamburg die Untersuchungsgefangene Luitgart Hornstein und in Celle die zu lebenslanger Haft Verurteilten Lutz Taufer und Knut Folkerts dem Hungerstreik angeschlossen. Jetzt hungern insgesamt 29 Mitglieder aus der RAF und anderen mili

tanten Gruppen.

In einem Streitgespräch in der heutigen Ausgabe des 'Spiegel‘ dokumentierten die bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner (CSU) und Berlins Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) ihre unüberbruckbaren Gegensätze. Die 55jährige CSU-Politikerin lehnt eine Zusammenlegung nach wie vor kategorisch ab - auch angesichts des kritischen Gesundheitszustandes der beiden Hungerstreikenden Dellwo und Eckes: „Der Dümmere gibt nach“, sagte sie. Unnachgiebig gab sie auch gegenüber ihrer Berliner Justizkollegin. Frau Limbach hatte erklärt, „wir sollten akzeptieren, daß auch die RAF-Häftlinge im Grundsatz lernbereite Menschen sind, denen man eine Perspektive eröffnen muß“. Die bayerische Ministerin kommentierte: „Gott erhalte ihnen ihre Illusionen.“

Intensivere Gespräche mit der RAF fordert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). In einem Interview erklärte Bundesvorstandsmitglied Ilse Brusis, dies sei aus menschlichen und politischen Gründen dringend geboten. Der Staat und

die Bundesregierung könnten nicht zusehen, wie Inhaftierte Selbstmord begingen. Schritte zur „Deeskalation“ forderten am Wochenende auch die Jungsozialisten. Vorraussetzung dafür wäre der politische Dialog. Dieser könne aber nur zustande kommen, wenn die Gefangenen die Möglickeit zur internen Diskussion erhielten. Der Zusammenschluß der Stafverteidigerinitiativen nannte in einer Presseerklärung die Forderungen der Hungerstreikenden „vollständig berechtigt“.

In Berlin demonstrierten am Samstag an die 4.000 Menschen für die Zusammenlegung. Bei dem vierstündigen Umzug durch die Berliner Innenstadt kam es auf dem Kürfürstendamm zu einem kurzen Zusammenstoß mit der Polizei. Mehrere Scheiben in unmittelbarer Nähe zum türkischen Generalkonsulats aber auch in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln wurden eingeschlagen. In Tübingen haben gestern Unterstützergruppen die Stiftskirche besetzt. Sie wollen bleiben, bis die Forderungen der Gefangenen erfüllt sind. Im Hamburger Info -Büro zum Hungerstreik haben

unterdessen die Schriftsteller Christian Geissler und Sabine Peters einen Hungerstreik begonnen. Sie wollen den Streik erst dann abbrechen, wenn die Forderungen der RAF-Gefangenen erfüllt sind.

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