L O B D E R A L L I I E R T E N

 ■  Gastkolumne von Dr. Reiner Geulen

In den vergangenen Wochen hat es bemerkenswerte Erklärungen der Alliierten zur Berliner Senatsbildung gebeben. Zunächst dementierten die Amerikaner eine offensichtlich von der CDU erfundene und lancierte Behauptung, die amerikanische Regierung hätte erhebliche Bedenken gegen die Bildung eines rot-grünen Senats. Nunmehr hat der britische Stadtkommandant Corbett im Hinblick auf die Senatsvereinbarung erklärt, wie die Alliierten ihre Aufgaben wahrnähmen, könne durchaus Veränderungen unterliegen. Die message dieser und anderer Erklärungen ist: Die Berliner sollen ihren Senat selbst wählen und ihre eigene Politik machen, solange nicht die grundsätzlichen Statusfragen der Stadt berührt sind.

Wer dies für lediglich taktische oder diplomatische Äußerungen hält, verkennt, daß es nicht Schuld der Alliierten, sondern Schuld der diversen Berliner Senate gewesen ist, daß es in den vergangenen Jahrzehnten gegenüber den Alliierten keine Berliner Politik gegeben hat. Wenn früher über Probleme geredet wurde, die die Interessen der Alliierten berührten, geschah dies mit einer Geste peinlicher Unterwürfigkeit. Eigene Standpunkte wurden eigentlich nur dort vertreten, wo die Berliner Senate daran interessiert waren, in eigenem Interesse gesetzwidriges Handeln unter dem Schutz der Alliierten einer gerichtlichen Kontrolle zu entziehen. Ein neueres Beispiel ist etwa, daß am Flughafen Tegel zwei Beschäftigten der Fluggesellschaft PAN AM auf Drängen der Berliner Polizei ohne Begründung die Sicherheitsausweise durch die Französische Militärregierung entzogen wurden, weil die Beschäftigten angeblich die Abschiebung eines Ausländers verhindert hätten. In einem so wichtigen Fall wie dem Bau des Großschießplatzes Gatow inmitten von Wohngebieten haben demgegenüber mehr als hundert Gespräche zwischen dem Berliner Senat und der Britischen Militärregierung stattgefunden, ohne daß der Berliner Senat auch nur ein einziges Mal den Standpunkt vertreten hätte, daß dieser Schießplatz dort nicht hingebaut werden kann.

Mit Ausnahme der jetzigen politischen Opposition, die wegen ihrer jahrelangen Politikunfähigkeit nun ziemlich im Regen steht, kann sich jeder in der Stadt über den neu eröffneten politischen Handlungsspielraum nur freuen. Es geht um sehr reale Dinge: Ein Teil der großen Flächen, die die Alliierten ohne relevante Nutzung innehaben, könnte zum Bau von Wohnungen oder zur Anlage von Grünflächen dienen; dies gilt insbesondere für die militärisch unwichtigen und sicherheitstechnisch veralteten Flughäfen Tempelhof und Gatow. Die in Teilbereichen weitgehende Suspendierung des gesetzlichen Richters durch die Alliierten ist nicht hinzunehmen. Insbesondere entspricht es der Rechtsprechung amerikanischer Gerichte in „Berlin-Sachen“, daß die Alliierten den rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihres Landes auch gegenüber den Berlinern unterliegen. In diesen Grundsätzen müssen daher die Alliierten einer Kontrolle durch unabhängige Gerichte unterliegen. Auch prozessuale Fragen, wie etwa die Zulassung von Nebenklagen vergewaltigter Frauen in dem Strafverfahren gegen angeklagte Soldaten gehören hierher; und natürlich eine Kontrolle der in Berlin faktisch unbegrenzten Möglichkeiten des Abhörens und Überwachens von Telefongesprächen durch alliierte Geheimdienste.

Spricht man mit Vertretern der drei westlichen Alliierten außerhalb eines offiziellen Rahmens, so hat man den Eindruck, daß ihnen die „neue Politikfähigkeit“ eines Berliner Senats durchaus akzeptabel ist, auch wenn dies in einzelnen Fällen zu Interessenkonflikten führen wird. Leute, die als Realpolitiker handeln, verkehren auch ungern mit Gesprächspartnern, die ihnen gegenüber auftreten wie Nachtwächter, Kulis oder Befehlsempfänger. Die Westbindung der Stadt steht ohnehin nicht in Frage, und sie ist seit Kriegsende in mehreren völkerrechtlchen Vereinbarungen der vier Siegermächte (und ohne deutsche Beteiligung) festgelegt.

Freuen wir uns also über die endlich eröffneten Möglichkeiten Berliner Politik. Ich sehe sie schon vor mir, den amerikanischen Stadtkommandanten und den Regierenden Bürgermeister, wie sie auf dem bisherigen Tempelhofer Flugplatz ein neues ökologisch geplantes Wohn- und Erholungsviertel eröffnen und gemeinsam eine Friedenseiche pflanzen.

Rechtsanwalt Geulen ist Experte für Alliiertes Recht