Selbstbezichtigung-betr.: "Mit Theaterdonner in den Europawahlkampf", taz vom 4.4.89

betr.: „Mit Theaterdonner

in den Europawahlkampf“,

taz vom 4.4.89

Lieber Gerd, da Du Dich ja akribisch, neugierig, teuflisch, redlich und offen und journalistisch vom Feinsten nicht mehr nur mit finanziellem Gebahren, sondern jetzt auch mit persönlichen Querverbindungen von Grünen und in diesem Fall KünstlerInnen auseinandersetzen mußt (...), eine Hilfestellung von mir, die Dir Deine weiteren Recherchen erleichtern soll, um Dir Zeit zu lassen, über politisch noch sinnvollere Probleme nachzudenken. Die Selbstbezichtigung:

Viele Jahre lebte ich Wand an Wand mit Rio Reiser. Wir tranken aus dem gleichen Becherchen, aßen vom gleichen Tellerchen und schliefen in getrennten Bettchen. Diese Liebe -Beziehung und die Tatsache, daß der Kulturreferent der Grünen, mit dem ich übrigens in Bonn unter einem Dach lebe, und wenn Zeit ist, auch mal esse, daß dieser Schlagzeuger percussion gespielt hat, in den schönen Zeiten, als es die Scherben noch gab - hat mit dazu geführt, daß Rio und Otto S. in Offenburg Klavier spielten für die Grünen beim letzten Bundestagswahlkampf. Und - ach je - in Wackersdorf war er auch der Rio, und Anne Heigis, die find‘ ich „gut“ und kenn ich auch (noch). Und von Schröders Road Schow waren Musiker (mit denen hab‘ ich auch schon zusammengewohnt) mit Wolfgang Niedecken in Nicaragua, und bevor Du es eh erfährst, in Mosambik hat ein Guitarrist gespielt, der wäre fast mein Schwager geworden. Und ein Pianist, mit dem ich seit Jahren „liiert“ bin (...), stell Dir vor, der hat Wahlkampf gemacht für Grüne in Hessen und Baden-Württemberg, und auf einer Fraktionsfete ist er auch aufgetreten, da war doch auch sein Freund dabei, der ist Baßist und Cocktailmixer - mit dem habe ich aber nix. (...)

Und noch dicker: Der Schauspieler, mit dem Anne, die Tochter von Hermann Schulz, „liiert“ ist, hat am gleichen Tag Geburtstag wie ich, und den feiern wir - wenn es irgend geht, seit Jahren zusammen - (hast Du an Pfingsten schon was vor?). Übrigens mit einer ganz tollen Schauspielerin, die in Hamburg lebt und auch Geburtstag hat und mit ihrer blutroten Kamille für Grüne beim Wahlkampf aufgetreten ist, dabei auch einer von der Shakespeare-Kompanie Bremen, der auch schon mal in der Fraktion war. Öfters.

(...) Übrigens, mit Walter Mosmann bin ich nicht verwandt oder verschwägert - leider -, obwohl er mich seit 15 Jahren begleitet, und den mit Antje befreundeten Maler Hechelmann, der uns so ein wunderschönes Plakat gemalt hat - den verehre ich sehr, wie Gottfried Hellnwein...

Oh, daß ich die Kusine dritten Grades von Uli Hoeness bin, mag mir nachgesehen werden - bin nämlich Sankt-Pauli-Fan -, mit dem Torwart Ippich hab ich leider noch nix.

Irgend etwas fehlt. Die Summen, die ich nicht zusammengezählt habe - oder sind es doch die Anlässe, bei denen sich diese Lieben und Freundschaften bewähren? Beim Kampf gegen die WAA, gegen den § 218, gegen den § 129 a, gegen Aufrüstung, für den aktiven Frieden, bei HausbesetzerInnen, gegen Apartheid und in Festen für ein befreites Nicaragua.

Ich glaube, Gerd, das ist es, was bei Dir fehlt. Jetzt, Gerd, kannst Du ja in der Fortsetzung noch die Liste eröffnen „Fundamentalistisch dominierte KünstlerInnen“. Oje. Buchhalterisch und kalt.

Claudia Roth

(...) 1. Ich bin in Anne Schulz rasend verliebt und nicht „liiert“ (das war die größte Gemeinheit: das Wort „liiert.“

2. Wir kriegen nicht 350.000 Mark, sondern 250.000.

3. Es gab drei Abstimmungen über das Projekt, zweimal im Bundesvorstand mit unterschiedlicher Besetzung, einmal im Bundesfinanzrat. Bei der zweiten Abstimmung im Bundesvorstand, auf die Du Dich offenbar beziehst, wurde das Projekt einstimmig angenommen, bei zwei Enthaltungen von Herman und Anne Schulz. Deine Kronzeugen Grösch und Bernbacher haben zugestimmt. (...) Für uns war diese Einstimmigkeit überhaupt die Voraussetzung, das Projekt zu machen.

4. Der damalige Bundesvorstand mag zwar bescheuert gewesen sein, daß er sich hat abwählen lassen, aber wir haben uns mit dem Projekt was gedacht. Nämlich: Wie kann eine ökologische, grüne Kulturarbeit aussehen, wenn sie sich vom üblichen SPD/CDU-Rambazamba in Wahlkämpfen unterscheiden soll. Deshalb steht das Projekt den Grünen bis 1990 (Bundestagswahl) zur Verfügung. (...) Das ist Vertragsbestandteil.

Zum anderen ist der Einstieg in das Thema Nahrungsmittel/Fleisch, EG-Binnenmarkt/Schweinewirtschaft nicht zufällig gewählt, denn Nahrungsmittel/Fleischproduktion beinhaltet Gentechnologie, Futtermittelimporte, Landwirtschaft, Gesundheit, Ökologie, Tierschutz und Verbraucherpolitik. Das Projekt Schweine -Leben soll etwas mit grüner Identität zu tun haben und mit den Bewegungen, auf die sich Grüne immer noch beziehen. Also machen wir den Versuch, sehr langfristig, weil auch für uns ungewöhnlich, im Dialog das Projekt zu erarbeiten und im Laufe der Zeit so zu überarbeiten, daß daraus inhaltich Richtiges und theatralisch Provokantes entsteht.

(...) Daß wir nicht völlig falsch liegen, zeigen 90 Anfragen grüner Kreisverbände, Einladungen nach Portugal und Brüssel, Anfragen von Initiativen wie Tierschützern, Buko, Gegen-Gen-Archiv, Bauernopposition und nicht zuletzt der schöne Erfolg auf der grünen Bundesversammlung in Duisburg, freilich nur bei der Mehrheit im Saal, für die Du nicht schreibst.

So eine Idee für ein grünes Kulturprojekt kommt eben nur zustande, wenn ein Theatermacher in eine Frau verliebt ist, die ihm andauernd vorwirft, daß den Kulturleuten die Ökologie am Arsch vorbei geht. Wir, die gesamte Produktionsgruppe, wissen sehr genau, auf was wir uns eingelassen haben. Denn das Ganze ist ein Experiment, das nur dann aufgeht, wenn wir überzeugen können. (...)

Gregor Lawatsch, Essen 1