Gedoppelter Konflikt

Die Georgier wollen raus aus der UdSSR  ■ K O M M E N T A R E

Während die baltischen Republiken in vielem nordeuropäisch wirken, gab es in Georgien schon immer eine eher mediterrane Atmossphäre. Entsprechend hitzig ist auch dort das politische Temperament. Was bei den vorsichtigeren Balten nur von Minoritäten öffentlich gefordert wird, dominiert jetzt in der georgischen Volksbewegung: Das Verlangen, aus der Sowjetunion auszutreten.

Abchasien spielt in der jetzigen Zuspitzung eine entscheidende Rolle. Wie im armenischen Konflikt bricht ein christlich-moslemischer Gegensatz auf, der sich zum haßerfüllten Volksvorurteil aufgeladen hat. Schon lange sahen sich die christlichen Georgier in Abchasien, wo sie die relative Bevölkerungsmehrheit stellen, diskriminiert. Nun reagieren sie auf den abchasischen Wunsch nach einem Anschluß an Rußland. Nicht einmal dem Georgier Dschugaschwili alias Stalin, geschweige denn dem Zaren oder Breschnew war es schließlich gelungen, das Land zu russifizieren.

Wenn die Georgier überdies in ihrem Land russische Überfremdung und Assimilationsdruck fürchten - von den 5,3 Millionen Einwohnern des Landes sind nur noch 68 Prozent Georgier -, so gilt das auch für die Abchasen gegenüber den Georgiern. Wie andere der kleinen Nationen Kaukasiens erhoffen sie sich mehr Toleranz vom multinationalen Rußland als von dem kleineren Nachbarn; Stalins Politik der Bestrafung ganzer Völker liegt ja auch schon etwas zurück. Vielleicht wird man dort in 70 Jahren vom ehemaligen Sowjetreich ähnlich nostalgisch reden wie hier von Mitteleuropa.

Erhard Stölting